Die Berührung Haut-zu-Haut ist eine der ursprünglichsten und bindungsstärksten Sinneserfahrungen jedes Menschen. Aber kann gezielter Körperkontakt wirklich eine medizinische Wirkung entfalten? Immer mehr Forscher sagen „Ja“ und fordern, die sogenannte Berührungsmedizin künftig als eigenständige Disziplin und Heilmethode anzuerkennen. Wir haben uns in dieses Thema eingelesen und haben die wichtigsten Eckpunkte für euch zusammengefasst.
Ein kleiner Exkurs zur aktuellen Forschung
Erst 2021 wurden David Julius und Ardem Patapoutian für Ihre Entdeckung der Rezeptoren für Temperatur und Berührung mit dem Nobelpreis in Medizin ausgezeichnet. Diese Thematik ist der modernen Forschung also nicht unbekannt. Allerdings scheinen die meisten Wissenschaftler ihr keine große klinische Bedeutung beizumessen. Aber warum eigentlich? Die Osteopathie oder fernöstliche Behandlungsmethoden wie Tuina oder das klassische Schröpfen haben längst ihren Platz im Kanon der nachgefragten Therapieformen erobert. Doch wenn es um Heilung ohne die Zufuhr von Arzneistoffen oder den Einsatz moderner medizinischer Gerätschaften geht, erlischt das klinische Interesse häufig schnell. Ein paar überzeugte Mediziner wollen das jedoch nicht länger hinnehmen und drängen auf die Anerkennung einer neuen Fachdisziplin: der Berührungsmedizin.
Worum geht es bei der Berührungsmedizin genau?
Im Grunde liest sich der Kerngedanke der Berührungsmedizin relativ simpel. Mediziner gehen davon aus, dass spezielle Massagetechniken antidepressiv, angststillend und sogar schmerzstillend wirken können. Einsatzgebiete wären dabei neben der Psychotherapie auch die Neonatologie (Neugebohrenenmedizin), die Pädiatrie, die Schmerzmedizin, die Onkologie sowie die Geriatrie.
Als größtes Sinnesorgan des Menschen ist die Haut mit einer Vielzahl empfindsamer Rezeptoren durchsetzt, die jede kleinste Berührung wahrnehmen und weiterleiten. Während andere Sinne wie das Sehvermögen oder das Gehör komplett verloren gehen können, ist dies beim Tastsinn bisher noch nie beobachtet worden. Dem entsprechend ist es nur natürlich, dieser Sinneswahrnehmung eine hohe Priorität einzuräumen.
Wie wirkt die Berührungsmedizin konkret?
Bereits in den 1980er Jahren entdeckten schwedische Forscher die sogenannten C-taktilen (CT) Afferenzen in der behaarten Haut von Menschen und anderen Säugetieren. Diese sind nicht wie andere Nervenzellen von Myelin umschlossen und reagieren ganz selektiv auf zärtliche Berührungen wie Streicheln, Kraulen oder sanftes Massieren. Diese spezielle Form der Berührung wird von unserem Gehirn typischerweise mit einem deutlichen Wohlgefühl verknüpft, das sich interozeptiv, also aus unserem Innern kommend, äußert. Das kommt daher, dass eben diese CT-Afferenzen nicht nur die bloße Berührung registrieren. Sie schicken ihre Signale auch an verschiedene Zentren, die für die Verarbeitung von Emotionen und sozialer Interaktionen zuständig sind. Ob dies bei anderen neuronalen Verbindungen ebenso der Fall ist, konnte noch nicht abschließend geklärt werden.
Körper und Geist bilden eine Einheit. Zu dieser Erkenntnis gelangte der Mensch schon sehr früh. Dem entsprechend beeinflussen negative Veränderung des einen auch immer den anderen Aspekt unseres Daseins. Physische Schmerzen wirken sich negativ auf unsere Stimmungslage aus. Gleichzeitig können wir depressive Verstimmungen auch körperlich fühlen. Diese Verbindung versucht die Berührungsmedizin sich ganz konkret zunutze zu machen.
Darüber hinaus wird angenommen, dass die Stimulation der CT-Afferenzen auch Einfluss auf das Oxytocin-System des Menschen hat. Oxytocin ist unter etlichen vielsagenden Namen bekannt. „Kuschelhormon“, „Bindungshormon“ oder auch „Mutter-Kind-Hormon“ sind dabei die bekanntesten. Es handelt sich dabei um einen Botenstoff, der zu den Glückshormonen zählt. Oxytocin entfaltet seine Wirkung als Neurotransmitter direkt im Gehirn und sorgt dort für ein positives „glückliches“ Gefühl. Die Ausschüttung von Oxytocin senkt außerdem aktiv das Angst- und Stressniveau. Gleichzeitig kann es einen schmerzstillenden Effekt haben und regenerative Prozesse im Körper in Gang setzen.
Wie darf man sich eine solche Therapie vorstellen?
Zunächst einmal ist es wichtig, dass Therapeut und Patient sich im Vorfeld darüber austauschen, was geht und was nicht geht. Besonders Menschen mit Depression empfinden direkten Körperkontakt am Anfang mitunter als unangenehm. Hier ist ein weiterer Eckpfeiler der Berührungstherapie von besonderer Bedeutung, nämlich das Element der Achtsamkeit. Der Patient ist angehalten, jede Berührung aktiv wahrzunehmen und verbal Feedback zu geben, was er in dieser Situation unmittelbar empfindet. Auf die individuellen Vorlieben und Abneigungen des Patienten einzugehen, ist für den Therapeuten dabei ungemein wichtig.
Man darf das Wort Massage übrigens nicht zu wörtlich nehmen. Die Berührungstherapie kommt ohne großen Druck aus. Vielmehr handelt es sich um sanfte, leichte Berührungen in fließenden, kreisenden Bewegungen. Bereits an Händen und Unterarm lassen sich entsprechende Reaktionen auslösen. Die richtige Technik und (im wahrsten Sinne des Wortes) Fingerspitzengefühl sind hier der ausschlaggebende Faktor. Speziell am Rücken und den Schultern erleben Patienten im Laufe der Sitzung intensive, positive Momente.
Insgesamt sollte man die Berührungstherapie als eine Abfolge von Übungen begreifen. Der Patient soll nicht einfach entspannen und „den Kopf abschalten“, sondern aktiv mitwirken. Und dies tut er durch das Prinzip der Achtsamkeit. Also indem er sich auf die Hände des Therapeuten auf seiner eigenen Haut konzentriert und sie bewusst spürt. Eine kognitive Eigenleistung ist also unabdinglich.
Wir hoffen, wir konnten euch die Grundzüge der Berührungsmedizin verständlich näherbringen. Wenn ihr euch für weitere Einblicke auf dem Feld der komplementären Heilmethoden interessiert, schaut gerne unter dem Schlagwort Alternativmedizin vorbei.