Operationen bei Rückenschmerzen häufig unnötig und teuer

Operationen bei Rückenschmerzen
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Deutschland ist Rekord-Halter, wenn es um Operationen an der Wirbelsäule geht, um chronische Rückenschmerzen zu therapieren. Nirgendwo sonst in Europa legen sich Patienten auf Anraten ihrer Ärzte so häufig unters Messer wie hierzulande. Doch lässt sich der Anstieg an Operationen tatsächlich allein mit der erhöhten Lebenserwartung oder höheren Behandlungsstandards erklären? Werden wir Deutschen einfach nur immer älter? Oder wird schlichtweg viel öfter operiert als notwendig wäre? Wir haben zu dieser Fragestellung einmal nachgeforscht.

Operationen steigen schneller als Patientenzahlen

Operationen bei Rückenschmerzen nehmen zu

Die Krankenversicherung AOK meldet zwischen den Jahren 2006 und 2010 eine Zunahme von 8,4% bei Patienten mit Rückenbeschwerden. Fragt man jedoch beim Gesundheitsministerium nach, so hat sich die Zahl der jährlichen Operationen aufgrund von Rückenschmerzen im selben Zeitraum um etwa 125% Prozent erhöht. Fanden im Jahr 2006 also noch 326.962 Eingriffe in deutschen Krankenhäusern statt, so waren es 2010 bereits 734.644. 8,4% mehr betroffene Patienten gegenüber 125% mehr Operationen. Dass all diese Eingriffe auf medizinischer Notwendigkeit basieren, dürfte selbst einem absoluten Laien höchst unwahrscheinlich vorkommen.

Warum wird immer häufiger operiert?

Die Antwort auf diese Frage ist genauso einfach wie erschreckend:
Weil es sich finanziell einfach mehr lohnt!

Ímmer mehr Operationen bei Rückenschmerzen

Angenommen, ein konservativer Arzt schickt seinen an chronischen Rückenschmerzen leidenden Patienten zu einem Physiotherapeuten. Dieser behandelt ihn 20 Therapie-Einheiten lang über 10 Wochen hinweg für einen Stundensatz von 60€. Dafür erhält er folglich 1.200€ von der jeweiligen Krankenkasse seines Patienten. Lässt sich derselbe Patient aber von einem Spezialisten davon überzeugen, sich einer operativen Wirbelsäulenversteifung zu unterziehen, sieht die Sache ganz anders aus. Ein entsprechend ausgestattetes Krankenhaus berechnet für einen solchen Eingriff gut und gerne 13.000€ – die Kosten für die stationäre Überwachung inklusive bildgebender Diagnostik und Medikamente noch gar nicht mit inbegriffen.

Bei solchen Zahlen ist kaum verwunderlich, wie flächendeckend die Versorgung durch gut ausgebildete Operateure ist. Von den im Jahre 2019 erfassten 1.914 Kliniken in Deutschland verfügten ganze 49,5% über eine Spezialabteilung für Wirbelsäulenchirurgie. Gleichzeitig lagen Operationen an der Wirbelsäule auf Platz 1 bei den entsprechenden Fallzahlen.

Fehlt es in Deutschland an Alternativen?

Auch hier lautet die traurige Wahrheit: Ja, das tut es. 

Ein von Rückenschmerzen geplagter Patient kann häufig innerhalb von 6 bis 8 Wochen mit einem Termin für eine Operation inklusive stationärer Betreuung rechnen. Bemüht er sich aber gleichzeitig um eine konservative Behandlung bei einem entsprechend geschulten Therapeuten in seiner Nähe, landet er allzu häufig auf mehreren Wartelisten ohne Aussicht auf einen zeitnahen Termin. Und dann folgt erst noch die zeitaufwändige Therapie, die er dann auch noch parallel zu seinem Arbeitsalltag bewältigen muss. Eine wirkliche Alternative ist das nicht.

Unser Tipp: Holt immer eine Zweitmeinung ein!

Als nicht medizinisch geschulter Patient ist man häufig in einer kniffligen Position. Der Termin, auf den man über etliche Wochen gewartet hat, ist gekommen, der Spezialist stellt eine Diagnose, spricht die Empfehlung zur Operation aus und möchte am liebsten schon direkt einen Termin mit euch vereinbaren, damit es zügig losgehen kann. In dieser konkreten Situation den Überblick und einen kühlen Kopf zu bewahren, fällt häufig schwer. Schnell verlässt einen da der Mut, sich selbst zu behaupten und zu sagen, man würde lieber eine zweite Meinung einholen. Immerhin möchte man ja auch nicht andeuten, man würde der Einschätzung des Arztes misstrauen.

Seht die Sache doch mal aus einer anderen Perspektive:

Angenommen, eure Waschmaschine hat einen Defekt und ihr ruft den Kundenservice an. Dieser schaut sich das Gerät an und sagt euch, eine Reparatur würde sich nicht lohnen, er könnte euch aber direkt einen guten Preis für ein neuwertiges Modell machen. Wärt ihr dann nicht auch skeptisch und würdet lieber noch bei einem anderen Betrieb anfragen, der euch nicht sofort ein neues Gerät aufdrängen möchte? Selbstverständlich sind diese beiden Situationen nicht frei aufeinander übertragbar. Allerdings handelt es sich bei beiden Vorgängen um eine Dienstleistung. Das heißt, ihr habt das volle Recht, eine zweite Meinung oder ein anderes Angebot einzuholen. Seid selbstbewusst genug und lasst euch lieber noch einmal anderweitig beraten, bevor ihr vorschnell in eine Operation einwilligt, die vielleicht der Klinik gut gelegen kommt, in eurem speziellen Fall aber gar nicht notwendig ist.

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