Long Covid und Post Vac – Teil 4

Long Covid Teil 4
4.8
(6)

Gastautor: Dirk Brandl, Sprecher Network Globalhealth

Es erscheint einleuchtend, dass Long Covid und das Post-Covid Syndrom (PCS) nur sehr schwer diagnostiziert werden können. Alle im letzten Artikel aufgelisteten Symptome können mit sehr verschiedenen Erkrankungen assoziiert werden. Auch langfristige Nachwirkungen der Impfung sind nur schwer zu bestimmen (Post Vac). Wie genau kann dann Long Covid bestimmt werden? Hinzu kommt, dass bei einer getroffenen Diagnose Long Covid auch Therapieangebote für den Betroffenen zur Verfügung stehen müssen – das ist, wie wir wissen, definitiv nicht der Fall.

Zurück zu mir als Betroffenem

Bevor ich auf die Möglichkeiten der Bestimmung eingehe möchte ich gern nochmals zurück zu meinem eigenen Fall als Betroffener: Zu Beginn habe ich viele Symptome entweder nicht Ernst genommen oder aber nicht mit meiner Infektion / Impfung in Verbindung gebracht. Ich denke, das geht anderen Betroffenen ähnlich. Ich hatte die Infektion, habe zum selben Zeitpunkt auch noch die Pfizer mRNA Impfung bekommen und hatte zunächst wenige Symptome (heute frage ich mich natürlich, welche Wirkung die unglückliche Verbindung von Infektion mit der zeitgleichen Impfung auf mich hatte). Mir ging es in der akuten Phase nicht wirklich schlecht, deshalb habe ich das Virus auch ein wenig abgetan (ist ja wohl doch nicht so schlimm). Ich hatte aber Freunde und Kollegen, die bereits in dieser ersten Infektionszeit ernsthafte Symptome entwickelt haben.

Erst nach 2-3 Monaten habe ich selbst bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich würde die ersten Symptome als Brain Fog bezeichnen aus heutiger Sicht. Ich saß an meinem Rechner und hatte zahlreiche Texte und Artikel zu verfassen wie beispielsweise diese Serie. Ich stellte fest, dass ich manchmal minutenlang auf den Bildschirm starrte, dass ich keinen sinnvollen Satz zustande brachte und mich total antriebslos erlebte. Dies ging mehrere Monate so. Was hätte ich wirklich tun können, nachdem ich den Zusammenhang mit der Infektion hergestellt hatte? Zu welchem Arzt hätte ich gehen können und welches Therapieangebot hätte dieser mir machen können? Ich habe dies nicht getan, weil zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal der Begriff Long Covid existierte und ich sicher bin, dass niemand mir ein sinnvolles Therapieangebot hätte machen können. Ich habe in diesem Zusammenhang gelesen, dass Patienten mit Fatigue vor der Pandemie darum kämpfen mussten, dass ihre Symptome überhaupt als Krankheit anerkannt wurden.

Allgemeine Hinweise zur korrekten Diagnose von Long Covid

Ich beziehe mich hier auf die Stellungnahme der Bundesärztekammer, weil diese ganz gut aufzeigen kann, wie kompliziert das Verfahren bis zur Diagnose Long Covid / PCS sein kann bzw. ist.

Was es noch nicht gibt
  • Keine spezifischen Marker (Messgrößen)
    Es gibt keine spezifischen Marker zum Beispiel im Blut, die klar anzeigen: Das ist Long Covid. Diese sind entweder gar nicht vorhanden oder bislang noch nicht entdeckt.
Der Weg zur korrekten Diagnose von Long Covid
Schritt 1: Anamnese PCS

Wer eine Diagnose benötigt, hat vielfältige Arztbesuche vor sich. Unrealistisch erscheint mit bereits der erste Hinweis der Bundesärztekammer, dass eine sehr umfangreiche Anamnese durch den Hausarzt erfolgen soll. Eine Anamnese ist eine Befragung des Patienten zu seinem Zustand, wenn diese umfangreich sein soll, dann wird sie zwischen 15 und 30 Minuten benötigen. Sind wir gnädig und sagen 15 Minuten, weil wir es immer mit schnell arbeitenden Ärzten und gut aufgeklärten und selbst-bewußten Patienten zu tun haben (😉). In welcher Hausarztpraxis hat der behandelnde Arzt 15 Minuten für jeden Patienten?

Schritt 2: Körperliche Untersuchung PCS

Auch diese soll sehr umfangreich sein und den neurologischen, psychischen und funktionellen Status abdecken. Diese Forderung ist sicher sinnvoll und richtig, die Frage ist nur, wie der Hausarzt diese umfassende Untersuchung inklusive großem Blutbild etc. durchführen soll? Auch das erscheint nicht realistisch.

Schritt 3: Diagnosestellung PCS

Zitat Stellungnahme Bundesärztekammer: „Die Diagnose eines PCS wird gestellt, wenn drei Monate nach Beginn einer initial diagnostizierten, aber nicht mehr mittels PCR messbaren SARS-CoV-2-Infektion noch Symptome bestehen, die entweder die typischen, von SARS-CoV-2 infizierten Organe betreffen oder einem ME/CFS (Fatigue Syndrom) entsprechen und die nicht durch andere Befunde oder durch Vorerkrankungen zu erklären sind.

Schritt 4: Ausschlussdiagnose PCS

Da wir keine genauen Marker für die Diagnose haben, muss für die Diagnosestellung alles andere, was bei den Symptomen noch in Frage kommt, durch spezifische Diagnosen (meisten über den Facharzt) ausgeschlossen werden, und übrig bleibt dann PCS. Wir können hier bereits sehen, dass bei einigen Symptomen mehrere Fachärzte aufgesucht werden müssen, und diese haben eben ihre bestimmten Diagnoseverfahren für bestimmte Krankheitsbilder. Erst wenn diese Krankheiten ausgeschlossen werden können, bleibt Long Covid übrig.

Einschätzung:

In der Theorie ist der hier vorgezeichnete Diagnoseweg sicher richtig, kann aber in der Praxis nicht durchgeführt werden, weil unser Gesundheitssystem darauf in keinster Weise vorbereitet ist. Die wenigen Long Covid Ambulanzen haben mehr als 6 Monate Wartezeit für eine Diagnosestellung.

Ich möchte hier am Beispiel der Diagnostik bei Problemen der Atmung, Organ Lunge aufzeigen, wie komplex eine solche Diagnostik sein kann. Ich zitiere aus der Stellungnahme der Bundesärztekammer ohne Übersetzung der verschiedenen Diagnostiken ins Normaldeutsch:

„Die Sicherung der Diagnose PCS mittels pneumologischer Funktionstests in Ruhe und unter Belastung schließt insbesondere die differentialdiagnostische Abgrenzung zu gleichzeitig bestehenden oder neu aufgetretenen Erkrankungen des Herzens und der Lunge inklusive Schlafstörungen mit ein. Indizierte diagnostische Methode ist ein Röntgen-Thorax in zwei Ebenen. Wenn dabei Veränderungen auffallen, besteht eine Indikation für eine Computertomografie (CT) des Thorax zum Nachweis eventueller persistierender Infiltrate oder narbiger Abheilungen. Des Weiteren wird bei obstruktiver Ventilationsstörung bzw. unspezifischer Provokation bei persistierendem Husten eine Bodyplethysmographie empfohlen einschließlich CO-Diffusionstest, ggf. ergänzt um Bronchospasmolyse. Zudem ist eine Blutgasanalyse zum Nachweis/Ausschluss einer respiratorischen Insuffizienz sowie eine Spiroergometrie und ein 6-Minuten-Gehtest insbesondere bei anhaltender Belastungsdyspnoe durchzuführen. Des Weiteren sind in der differentialdiagnostischen Abgrenzung eine Echokardiographie und in Einzelfällen eine nächtliche kardiorespiratorische Polygraphie indiziert. In Einzelfällen wird eine bronchoskopische Diagnostik mit ggf. bronchoalveolärer Lavage (BAL) und Biopsie sowie eine Polysomnographie indiziert sein.“

Als Laie würde ich sagen, da wird unter Umständen alles aufgefahren, was die Praxis des Lungenfacharztes an Diagnostik so hergibt.
Aber das ist ja nur eine Ausschlussdiagnostik. Beispielsweise bei meinen Atembeschwerden und meiner Kurzatmigkeit kann ich gleich noch drei andere Fachärzte aufsuchen, die ebenfalls ihre Diagnosen stellen werden.

Was kommt bei der Diagnostik Long Covid / PCS heraus?

Ich kann wahrscheinlich sagen, dass ich Long Covid / PCS habe. Das ist gut, wenn ich das von einer ganzen Horde von Fachärzten letztendlich bestätigt bekomme, was ich aus eigener Beobachtung meines Zustandes eigentlich schon vorher gewusst habe. Ich möchte das Verfahren hier nicht lächerlich machen, für Schwerstbetroffene und für Leute, die sich nicht selbst beobachten, ist es sicher sinnvoll. Aber mal ehrlich: Welchen Effekt hätte eine solche Mammutdiagnostik für mich? Wäre ich damit einer Therapie auch nur einen einzigen Schritt näher gerückt? Ich möchte dies ernsthaft bezweifeln.

Biomarker für Long Covid

Ohne einen genauen Überblick über Studien zu diesem Thema zu haben gehe ich davon aus, dass zum Thema Diagnostik durch Biomarker sehr intensiv geforscht wird. Ich möchte hier beispielsweise aus einer französischen Studie zitieren. Die Autoren untersuchten, ob das Virus ähnlich wie auch andere Viren in der Darmschleimhaut weiter existiert. „Bei 70-80% der Personen mit Long Covid fanden sie 6 Monate nach der Infektion mehrere Biomarker… Die Forscher stellten auch fest, dass bestimmte Entzündungsmoleküle in der Frühphase der Krankheit auf die Entwicklung von Long Covid hindeuten. Dazu gehörten sehr hohe Werte von Interferon IP-10 oder Interleukin IL-6.“ (Medscape)

Nachtrag:
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Icahn School of Medicine am Mount Sinai und der Yale School of Medicine haben neue Biomarker entdeckt. Laut Ärztezeitung vom 25.9.23 lassen sich Patientinnen und Patienten mit Long-COVID mit spezifischen Biomarkern im Blut genau identifizieren.

Im Vergleich zu den Kontrollgruppen ergaben sich bei den Long-COVID-Patienten

  • signifikante Unterschiede in den zirkulierenden Immunzellen; vor allem erhöhte Level der nicht-konventionellen Monozyten, niedrigere Level der konventionellen dendritischen Zellen (Typ 1),
  • Hinweise auf eine übertriebene humorale Reaktion gegen SARS-CoV-2; signifikant erhöhte Reaktivität gegen drei Spike-Protein-Bindungsmotive
  • höhere Antikörperreaktionen gegen weitere Viren (nicht SARS-CoV-2), insbesondere gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV).

In der Studie wurde über den Algorithmus des maschinellen Lernens mehrere potentielle Biomarker definiert: Die Serum-Galectin-1-Konzentration und IgG gegen verschiedene EBV-Epitope waren positiv mit einer Long-COVID-Erkrankung assoziiert, Serumkortisol, zirkulierende PD-1+-/CD4+-T- sowie dendritische Zellen hingegen negativ.

Von diesen Markern war die Serumkortisol-Konzentration der signifikanteste Prädiktor für den LC-Status im Modell: Anhand von Kortisol allein ließ sich eine Long-COVID-Erkrankung mit einer Genauigkeit von 96 Prozent bestimmen (95-%-KI: 0,93-0,99).
Insgesamt entsprach die Klassifizierungsgenauigkeit des Long-COVID-Propensity-Scores (basierend auf den Selbstauskünften der Patienten hinsichtlich ihrer Symptome) der des maschinellen Lernens.

Checkliste Long Covid

In einer im Dezember letzten Jahres in Nature Medicine veröffentlichten Arbeit wurden die Symptome zur Erleichterung der Diagnose in 4 Gruppen eingeteilt:

  • Herz- und Nierenprobleme wie Herzklopfen, Brustschmerzen und Nierenschäden
  • Angstzustände und Schlaflosigkeit
  • Muskel-Skelett-System und Nervensystem: Schmerzen, Osteoarthritis und Probleme mit geistigen Fähigkeiten
  • Verdauungs- und Atmungssystem: Atembeschwerden, Asthma, Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen

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