Von der Pandemie zur Epidemie: Macht Corona uns dick?

Corona macht dick
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In einer Befragung in Berlin und Brandenburg gaben die Leute an, im Schnitt während der Pandemie 5,5 kg zugelegt zu haben. Ob dies tatsächlich für alle zutrifft und Corona wirklich dick macht, können wir natürlich nicht verifizieren. Aber auch die offiziellen Stellen gehen von einer Gewichtszunahme aus. Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht von einer durchschnittlichen Steigerung von 1,1 kg innerhalb eines Jahres aus, von 77,1 auf 78,2 kg.

Das Problem betrifft nicht nur die Erwachsenen – auch die Kinder haben scheint es deutlich zugelegt. 27% der Eltern und 9% der Kinder haben in der Zeit des Lockdowns zugenommen. Zum Thema Kinder und Corona-Kilos wollen wir euch etwas ausführlicher in einem gesonderten Artikel informieren. Die Experten haben unsere Situation schon vor Corona als Adipositas-Epidemie bezeichnet, jetzt wird es noch dringlicher, etwas dagegen zu tun.

Das Grundproblem

Jeder von uns, der ein paar Kilo zu viel hat weiß, wie schwer es ist, diese wieder zu verlieren. Das Patentrezept hat wohl keiner bisher gefunden. Die Ernährungsmedizin geht entweder von zu viel Fettaufnahme oder zu viel Kohlehydrataufnahme aus – oder auch von beidem. Hinzu kommt der gutgemeinte Rat, mehr Sport zu treiben.

Besonders hervorzuheben ist, dass Adipositas und Diabetes die Hauptrisikofaktoren für einen schweren Verlauf bei einer Covid Infektion sind. Da wird es gleich doppelt wichtig, wieder auf das Normalmaß zu schrumpfen.

Unser Blog hat sich ja seit seinen ersten Artikeln darum bemüht, eine etwas andere Perspektive zu dem ganzen Thema Ernährung einzunehmen. Und zwar insofern, als wir keine Askese predigen wollen, weil Askese eigentlich die schlimmste Form ist, sich gehen zu lassen. Das funktioniert nur bei Menschen, die gerne verzichten, also einen Lustgewinn aus dem Verzicht erwirtschaften wie beispielsweise der alte Notar Bolamus in dem Song von Franz-Josef Degenhardt, der sein Leben „mit Maß und Verstand“ lebte.

Aber wir Otto Normalverbraucher haben da keine Chance, wenn es nur um Verzicht und Selbstkasteiung geht. Deshalb sind unsere Ernährungstipps auch immer auf Lustgewinn ausgelegt, weil Abnehmen nur so funktionieren kann. Dasselbe gilt unserer Meinung nach für den Sport: Kommt dabei ein Frohlocken des Körpers heraus kann das zu mehr Sport motivieren, kommt dabei aber nur ein ehrgeiziges Festhalten an zu hohen Zielen raus, kann das nicht wirklich gelingen. Abnehmen ist keine Eintagsfliege, Abnehmen ist langer Atem, und das geht nun mal viel besser mit Lust als ohne. Auch die neue Pille zum Abnehmen wird es nicht bringen, denn ein solcher Eingriff in unsere Natur ist immer auch mit Nebenwirkungen verbunden.

Wie könnte nun die Lösung aussehen?

Nehmen wir einmal das Beispiel Sport. Der Effekt von Sport auf eine Gewichtsabnahme wird häufig überschätzt. Nur mit Sport sein Gewicht zu reduzieren sei beinahe unmöglich, so die beiden Sportmediziner Thomas Thünenkötter und Axel Urhausen, vom Centre Hospitalier de Luxembourg–Clinique d’Eich und Luxembourg Institute of Research in Orthopedics, Sports Medicine and Science, in einem aktuellen Zeitschriften-Beitrag. Und sie rechnen es uns genau vor: So sei für eine Reduktion von einem Kilogramm Körperfett mit Hilfe von körperlicher Aktivität ein zusätzlicher Kalorienumsatz von etwa 7.000 kcal erforderlich. Ein 100 kg schwerer Mann müsse demnach, um ein Kilogramm Fettgewebe abzubauen, „ca. 23 Stunden Gehtraining (Kalorienumsatz ca. 300 kcal/h) durchführen!“

Um das Gewicht innerhalb von 6 Monaten um mindestens 5 kg zu reduzieren, sei „ein Mindestmaß an zusätzlicher körperlicher Aktivität mit ‚moderater‘ Intensität von ca. 250 min/Woche (4,2 h/Wo.) notwendig“, für die Gewichtserhaltung nach der Gewichtsabnahme seien „mindestens 30 Minuten tägliche körperliche Aktivität (= 3,5 h/ Wo.) mit einem wöchentlichen Kalorienmehrumsatz von etwa 800 bis 1.400 kcal“ erforderlich.

Das sieht auf den ersten Blick ganz schön happig aus. Das kann langfristig nur mit Lust funktionieren, nicht gegen sie. Corona hat uns ja auch klar vor Augen geführt, wie vielen Ersatzbefriedigungen wir uns hingeben. Das hasten von Event zu Event, das Übermaß an Essen und Trinken, all dies haben wir viel bewusster zur Kenntnis nehmen müssen. Die Suche nach Sinn – das Streben nach wirklicher Befriedigung jenseits allen Konsums – könnte das nicht eine Alternative zu Askese und Verzicht sein?

Thomas Thünenkötter, AxelUrhausen:
Einfluss von körperlicher Aktivität und sportlichem Training auf Übergewicht (Influence of physical activity and sports training on obesity) Sports Orthopaedics and Traumatology, https://doi.org/10.1016/j.orthtr.2020.11.009

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