Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe – Segen oder Gefahr? Teil 4

Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe Teil 4
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Im vierten und letzten Teil unserer Artikel-Reihe „Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe“ geht es um folgende Indikationen im Zusammenhang mit Süßungsmitteln: Übergewicht, Darmflora, Krebs, Ischämischer Schlaganfall und Alzheimer Demenz.

Übergewicht

Man verringert den Zuckerkonsum, indem man ihn durch Süßstoffe ersetzt, trotzdem nimmt man zu, obwohl Süßstoffe keine Kalorien haben. Woher kommt das? Dazu gibt es einige Untersuchungen. Wir wollen hier einmal die Ergebnisse von Pepino et al. diskutieren und veröffentlichen.
Zur Erklärung des paradoxen Zusammenhangs zwischen dem Verzehr von NNS* mit wenigen oder gar keinen Kalorien und der in epidemiologischen Studien beobachteten Gewichtszunahme werden mehrere potenzielle Mechanismen vermutet, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Sie reichen von einem pawlowschen Ansatz, bei dem die Trennung von Süße und Kalorien grundlegende physiologische Reaktionen stören würde, die sich zur Kontrolle der Homöostase entwickelt haben [6, 7, 8], über Veränderungen des Darmmilieus und damit der Mikrobiota [20], die Entzündungsprozesse auslösen könnten, die mit Stoffwechselstörungen und Fettleibigkeit in Verbindung gebracht werden [18, 19], bis hin zu Wechselwirkungen von NNS mit neuartigen Rezeptoren für süßen Geschmack, die im Darm entdeckt wurden [21, 22, 23]. Bislang wurde nur der letzte Mechanismus beim Menschen untersucht. (…) Dies ist der Mechanismus, dem in letzter Zeit die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Einige Tierstudien, jedoch nicht alle, ergaben, dass NNS die Süßgeschmackswege im Darm aktivieren, die die Inkretinfreisetzung** steuern und die Glukosetransporter hochregulieren. Studien am Menschen ergaben, dass zumindest bei gesunden, nüchternen Probanden die alleinige Interaktion von NNS mit Süßgeschmacksrezeptoren im Darm nicht ausreicht, um Inkretinreaktionen auszulösen. Die Gründe für die Diskrepanz zwischen verschiedenen Studien sind nicht bekannt, könnten aber mit der getesteten Säugetierart und der verwendeten NNS-Dosis zusammenhängen.
Übersetzung DeepL.com

*NNS = englische Abkürzung für Süßstoffe
**Inkretin: Inkretine sind gastrointestinale Hormone, welche die nahrungsabhängige Insulinsekretion aus pankreatischen Betazellen steuern. (DocCheck) Es geht also um das Hormon Inkretin, dass die Ausschüttung der beiden Hormone Insulin und Glucagon steuert.

Publikation:
Pepino M Y et al, Nonnutritive sweeteners, energy balance and glucose homeostasis, Curr Opin Clin Nutr Metab Care. 2011 July ; 14(4): 391–395. doi:10.1097/MCO.0b013e3283468e7e

Darmflora

Die in Teil 3 zitierte Publikation von Ruiz-Ojeda et al. beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Süßstoffen auf unsere Darmflora und unser Microbiom.
Die Auswirkungen von Süßungsmitteln auf die Darmmikrobiota sind noch nicht vollständig geklärt. Innerhalb der NNS verändern nur Saccharin und Sucralose die Populationen der Darmmikrobiota. Die Aufnahme von Saccharin durch Tiere und Menschen zeigte Veränderungen in Stoffwechselwegen, die mit der Glukosetoleranz* und der Dysbiose** beim Menschen verbunden sind. Zur Klärung dieser vorläufigen Beobachtungen sind jedoch weitere Studien am Menschen erforderlich. Von den Süßungsmitteln können nur Steviaextrakte die Zusammensetzung der Darmmikrobiota beeinflussen. Schließlich können Polyole, sobald sie den Dickdarm erreichen, dosisabhängige Blähungen hervorrufen, insbesondere bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen. Mehrere Polyole, darunter Isomalt und Maltit, erhöhen die Zahl der Bifidobakterien bei gesunden Menschen, und diese Polyole haben möglicherweise präbiotische Wirkungen. Andererseits zeigten verschiedene klinische Studien am Menschen, dass Lactitol die Populationen von Bacteroides, Clostridium, Coliformen und Eubacterium verringert. Darüber hinaus steigert Lactitol die Produktion von Butyrat und die IgA-Sekretion ohne Anzeichen einer Schleimhautentzündung und zeigt symbiotische Wirkungen. Xylitol reduziert die Häufigkeit von Bacteroidetes und der Gattung Barnesiella im Stuhl, erhöht Firmicutes und die Gattung Prevotella und beeinflusst C. difficile bei Mäusen.
Übersetzung DeepL.com

* Glukosetoleranz: Fähigkeit des Organismus, auf eine definierte Zufuhr von Kohlenhydraten (Glucose) ohne pathologisch gesteigerte Blut- und Harnzuckerwerte zu reagieren. (Spektrum.de)
** Dysbiose: Man spricht von Dysbiose oder Dysbakteriose, wenn die Besiedelung des Darms mit nützlichen Bakterien krankhaft gestört ist.

Publikation:
Ruiz-Ojeda F J et al. Effects of Sweeteners on the Gut Microbiota: A Review of Experimental Studies and Clinical Trials, Adv Nutr 2019;10:S31–S48; doi: https://doi.org/10.1093/advances/nmy037

Krebs

Das Thema Krebs ist ziemlich heikel, weil allein das Wort bei den meisten von uns bereits Angstzustände auslöst. Der Süßstoff, der am meisten ins Gerede gekommen ist, heißt Aspartam. Dazu zunächst eine Meldung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 14. Juli 2023, die von vielen Medien verbreitet wurde: Die Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO hat am Freitag (14.07) den Süßstoff Aspartam als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Die IARC führt insgesamt vier Bewertungsstufen: krebserregend, wahrscheinlich krebserregend, möglicherweise krebserregend und nicht klassifizierbar.(Brisant, ARD 29.7.2023).

Dazu Medscape: 2022 hatte eine Studie aus Frankreich mit mehr als 100.000 Teilnehmern einen hohen Aspartam-Konsum mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung gebracht. Die IARC bezog in ihre Sicherheitsprüfung neben dieser Arbeit 3 weitere Humanstudien aus Europa und den USA und zahlreiche tierexperimentelle Studien ein. Die insgesamt 1.300 ausgewerteten Studien lieferten nach Einschätzung der IARC eine „begrenzte Evidenz“ für einen Zusammenhang zwischen Aspartam und der Entstehung des hepatozellulären Karzinoms (=Leberkrebs).

Soweit zu den Informationen. Die Einschätzung, was als möglicherweise krebserregend bezeichnet wird, führt allerdings unter Fachleuten zu Diskussionen und Kontroversen. Es scheint auch so zu sein, dass ein sehr begrenztes Risiko lieber in Kauf genommen wird als eine Rückkehr vieler Menschen zum Konsum von Zucker anzukurbeln, was auch irgendwie verständlich ist, allerdings mit Wissenschaft nichts mehr zu tun hat.
Unsere Einschätzung zu Aspartam ist: Das Risiko ist nicht besonders hoch, es erhöht sich, wenn viel Aspartam konsumiert wird. In vielen Lebensmitteln ist Aspartam enthalten. Falls ihr privat Süßstoffe einsetzt, warum nicht dann einen anderen Süßstoff verwenden, um die tägliche Dosis zu reduzieren?

Ischämischer Schlaganfall und Alzheimer Demenz

ADA.com: Beim ischämischen Schlaganfall handelt es sich um eine plötzliche Minderdurchblutung des Gehirns. Dies führt zum Absterben von Gehirnzellen. Am häufigsten wird ein ischämischer Schlaganfall durch Blutgerinnsel in oder Verengungen von Blutgefäßen verursacht, die das Gehirn versorgen.

2017 wurde ein Artikel veröffentlicht mit dem Titel: „Sugar- and Artificially Sweetened Beverages and the Risks of Incident Stroke and Dementia / Zucker- und künstlich gesüßte Getränke und das Risiko eines Schlaganfalls und einer Demenzerkrankung“. Die zu diesen Indikationen vorliegenden Publikationen wurden verfasst von einem Team um Matthew Pase für die American Heart Association. Die Daten wurden als Rundbrief und in der Zeitung der Organisation, der Zeitschrift Stroke, veröffentlicht. Wikipedia: Die American Heart Association (AHA) mit Sitz in Dallas ist eine US-amerikanische Non-Profit-Organisation, die sich mit der Prävention und Therapie von kardiovaskulären Erkrankungen beschäftigt. Das Ziel der AHA ist es, gesundheitliche Einschränkungen und Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen und Schlaganfall zu reduzieren.

Hier die übersetzten Textpassagen:
Ergebnisse – Nach Bereinigung um Alter, Geschlecht, Bildung (für die Analyse von Demenz), Kalorienzufuhr, Qualität der Ernährung, körperliche Aktivität und Rauchen war ein höherer aktueller und kumulativer Konsum von künstlich gesüßten Erfrischungsgetränken mit einem erhöhten Risiko für ischämischen Schlaganfall, Demenz aller Ursachen und Alzheimer-Demenz verbunden.

Schlussfolgerungen: Der Konsum von künstlich gesüßten Erfrischungsgetränken war mit einem höheren Schlaganfall- und Demenzrisiko verbunden.

Diskussion: Unsere Studie liefert weitere Belege für einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von künstlich gesüßten Getränken und dem Risiko eines Schlaganfalls, insbesondere eines ischämischen Schlaganfalls. Nach unserer Kenntnis ist unsere Studie die erste, die einen Zusammenhang zwischen dem täglichen Konsum von künstlich gesüßten Erfrischungsgetränken und einem erhöhten Risiko sowohl für Demenz als auch für Demenz aufgrund von Alzheimer herstellt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Konsum von künstlich gesüßten Erfrischungsgetränken mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfall und Demenz verbunden war. Mit Zucker gesüßte Getränke wurden nicht mit einem erhöhten Risiko für diese Erkrankungen in Verbindung gebracht. Da der Konsum von künstlich gesüßten Erfrischungsgetränken in der Bevölkerung zunimmt, ebenso wie die Prävalenz von Schlaganfall und Demenz, sind weitere Untersuchungen erforderlich, um unsere Ergebnisse zu wiederholen und die Mechanismen zu untersuchen, die den berichteten Zusammenhängen zugrunde liegen.
Übersetzung DeepL.com

Publikation:
Pase M P et al., Sugar- and Artificially Sweetened Beverages and the Risks of Incident Stroke and Dementia – A Prospective Cohort Study, Stroke. 2017;48:1139-1146. DOI: 10.1161/STROKEAHA.116.016027

Zurück zum Erythrit

Kommen wir zurück auf unseren Einstieg in Teil 1 der Serie, in dem wir auf Aussagen von Prof. Dr. Stephan Martin zum Erythrit hingewiesen haben. Martin behauptet, dass ein Medikament bei Vorliegen der publizierten Gefahr einen Rote Hand Brief, also eine Warnung für die verschreibenden Ärzte, ausgelöst hätte. Bei Nahrungsergänzungsmitteln sei das nicht so. Aufgeschreckt wurden die Mediziner durch die Publikation von Ergebnissen einer Studie. Man hat 1.100 Patienten untersucht, die entweder einen Schlaganfall, Herzinfarkt hatten oder sogar durch eine Herzerkrankung verstorben sind. Bei diesen 3 Gruppen wurde festgestellt, dass die Zuckeralkohole, insbesondere Erythrit hohe Konzentrationen im Blut aufwiesen. Zwei andere Studien haben diese Erkenntnisse bestätigt. Patienten mit der höchsten Konzentration hatten ein zweifach höheres Risiko zu versterben als die Patienten mit den niedrigsten Werten für Erythrit. Daraus leitet man ab, dass Erythrit das Risiko für koronare Herzerkrankungen erhöht. Auch die WHO hat ein Review veröffentlicht, in dem vom Konsum von Zuckerersatzstoffen abgeraten wird. Dies jedoch geht vielen Ernährungswissenschaftlern zu weit.
Eine weniger kritische Bewertung der Studie hat Dr. Stefan Kabisch von der Charité vorgenommen. So sind laut Kabisch Menschen, die häufig Zuckerersatzstoffe konsumieren, typischerweise adipöser, metabolisch kränker und hätten einen insgesamt ungesünderen Lebensstil. All diese Faktoren könnten laut Kabisch die eigentlichen Ursachen für das höhere kardiovaskuläre Risiko sein, während Erythrit ‚nur zufällig‘ mit erhöht ist. (Medscape) Kabisch warnt allerdings auch vor einem sehr hohen Konsum der Polyole.

Publikation:
Witkowski, M., Nemet, I., Alamri, H. et al. The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk. Nat Med 29, 710–718 (2023). https://doi.org/10.1038/s41591-023-02223-9

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