Polio – Zurückgedrängt, aber wohl noch lange nicht besiegt

Polio - Zurückgedrängt, aber wohl noch lange nicht besiegt
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Jedes Jahr am 24. Oktober ruft die WHO den internationalen Welt-Polio-Tag aus, um an diese fast vergessene, aber immer noch existierende Krankheit zu erinnern. Denn anders als bei den Pocken, die durch die gemeinsamen Anstrengungen verschiedenster Nationen ausgerottet wurden, erkranken in manchen Teilen der Welt heute noch Menschen an Poliomyelitis. Wir nehmen diesen Aktionstag zum Anlass, euch genauer über Polio zu informieren.

Was ist eigentlich Polio?

Mit vollem Namen heißt diese auch als Kinderlähmung bekannte Krankheit Poliomyelitis. Dabei handelt es sich um eine virale Infektionskrankheit, die hauptsächlich bei Kindern im Alter von 3 bis 8 Jahren auftritt. Doch immer wieder kommt es vor, dass auch Erwachsene sich infizieren. Der Erreger von Polio ist das sogenannte Poliovirus mit drei unterschiedlichen Serotypen (WPV 1-3).  Dieses vermehrt sich überwiegend im Darm und breitet sich dann im übrigen Körper aus, wo es gezielt motorische Nervenzellen angreift und so zu charakteristischen Fehlbildungen und Lähmungszuständen führen kann.

Bereits seit dem 19. Jahrhundert wurde Polio von mehreren Ärzten unterschiedlichster Nationalität unabhängig voneinander untersucht und beschrieben. Infolge einiger größerer Epidemien in den USA und Europa während des 20. Jahrhunderts wurde diese Krankheit durch Impfkampagnen systematisch zurückgedrängt. In den meisten Teilen der Welt gilt diese Krankheit daher mittlerweile als ausgestorben. Doch immer wieder kommt es zu vereinzelten Ausbrüchen in Afrika und Asien.

Übertragung und Inkubationszeit

Polio wird hauptsächlich über Schmutz- und Schmierinfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Es gibt glücklicherweise bisher keinen einzigen bestätigten Fall, bei dem Polio bei Tieren nachwiesen wurde. Eine Ansteckung über Tiere kann damit also ausgeschlossen werden. Außerdem kann das Virus außerhalb des menschlichen Körpers nur eine gewisse Zeit lang überlegen. Infektionsketten könnten folglich unterbrochen werden. Von den ehemals drei Serotypen des Virus ist nur noch einer, nämlich WPV 1, verbreitet. Die beiden anderen sind im Laufe der Zeit durch die konsequenten Impfkampagnen der letzten Jahrzehnte verschwunden.

In der Regel liegt die Inkubationszeit von Polio bei durchschnittlich 4 bis 10 Tagen, abhängig davon, um welchen Krankheitsverlauf es sich handelt.

Krankheitsverlauf und Symptome

Heutzutage verläuft eine Polio-Infektion in etwa 95% aller Fälle symptomfrei. Die restlichen 5% lassen sich in drei separate Krankheitsverläufe unterteilen.

  • Die abortive Poliomyelitis: Bei diesem relativ leichten Krankheitsverlauf kommt es nach einer kurzen Inkubationszeit zu unspezifischen Beschwerden wie Fieber, Kopf-, Hals- und Gelenkschmerzen. Häufig kommen auch Durchfall und Erbrechen hinzu, da das Virus sich über den Darm ausbreitet. Das Zentrale Nervensystem ist allerdings nicht betroffen und die Patienten erholen sich zeitnah ohne bleibende Schäden davonzutragen.
  • Die nichtparalytische Poliomyelitis: Bei diesem Krankheitsverlauf ist das Zentrale Nervensystem ganz explizit mit betroffen. Nachdem die abortive Poliomyelitis abgeklungen ist, kommt es zu einer aseptischen Meningitis, also einer Hirnhautentzündung. Diese führt erneut zu Fieber und Kopfschmerzen, welche mit Nackensteife und Muskelspasmen einhergeht. In manchen Fällen kann es sogar zu Bewusstseinstrübungen kommen.
  • Die paralytische bzw. echte Poliomyelitis: In nur etwa 1% aller Fälle weitet sich die Krankheit zur paralytischen oder auch „echten“ Poliomyelitis aus. Während die Patienten sich erst noch zwei bis drei Tage besser fühlen, setzen anschließend plötzlich Lähmungserscheinungen besonders in den Extremitäten ein. In einigen Fällen können sogar Bauch, Brustkorb oder Augenlider mit betroffen sein. Weitet sich das Virus bis in die Atemmuskulatur oder die Hirnnerven aus, besteht akute Lebensgefahr. So liegt die Mortalitätsrate bei diesem Krankheitsverlauf bei bis zu 20%! 

Der Heilungsprozess nach einer paralytischen Poliomyelitis ist langwierig und meist mit großer Anstrengung verbunden. In vielen Fällen kehrt die Bewegungsfähigkeit der betroffenen Körperregionen zurück. Allerdings kann es durchaus auch zu lebenslangen Lähmungserscheinungen und Fehlbildungen kommen. Besonders „grausam“ für Betroffene und Angehörige sind Einzelfälle, bei denen es noch Jahre oder gar Jahrzehnte nach Abklingen der Krankheit zu erneuten Lähmungserscheinungen, Schmerzen und Muskelatrophie kommt. Man spricht hierbei vom sogenannten Postpolio-Syndrom.

Therapie und Impfung

Eine akute Therapie im eigentlichen Sinne gibt es bis heute leider nicht. Den behandelnden Ärzten bleibt im Zweifelsfall nichts anderes übrig als sich auf die bloße Behandlung der Symptome zu beschränken. Den einzig wirksamen Schutz vor Polio stellt die Impfung dar. In Europa wird diese seit 1998 kostenlos durch Injektion durchgeführt. Eine vollständige Immunisierung findet aber auch hierbei nicht statt, sodass Betroffene sich durch über den Darm aufgenommene Viren (etwa über kontaminiertes Trinkwasser) weiterhin infizieren oder aber das Virus unbemerkt ausscheiden und so an Dritte übertragen. Daher empfiehlt es sich in bestimmten Regionen Afrikas und Asiens genauestens auf die hygienischen Zustände vor Ort zu achten, bevor man Speisen und Getränke zu sich nimmt.

Der Kampf gegen Polio in den letzten hundert Jahren

1916 brach eine große Polio-Epidemie über New York City herein, in deren Verlauf 27.000 Gelähmte und 9.000 Tote registriert wurden. 1952 registrierten die USA insgesamt 57.628 Fälle von Polio. Im selben Jahr forderte die Kinderlähmung auch in Deutschland 745 Todesopfer und rund 9.500 dauerhaft Gelähmte. 1961 endlich konnte in den USA mit der ersten Schluckimpfung begonnen werden, ein Jahr später bereits auch in der BRD.

Im Jahre 1980 wurden die Pocken offiziell als ausgerottet eingestuft. Polio allerdings forderte weltweit weiterhin immer noch zahlreiche Todesopfer. Daher initialisierte die WHO 1988 ein weltweites Programm zur Ausrottung der Kinderlähmung. So wurde in Deutschland 1992 der letzte bestätigte Fall von Polio gemeldet.

Seit 1994 gilt die WHO-Region Amerika als poliofrei, ebenso der West-Pazifik seit dem Jahre 2000 und Europa schließlich seit 2002. Erst 2020 konnte die WHO-Region Afrika offiziell als Wild-Polio-frei eingestuft werden, allerdings kommt es hier jährlich immer noch zu Krankheitsausbrüchen. Dies liegt daran, dass aufgrund des noch nicht flächendeckend herrschenden Impfschutzes durch die Impfung verabreichte Lebend-Viren von frisch Geimpften an Nicht-Geimpfte übertragen werden, bei denen daraufhin die Krankheit voll ausbricht.

Um diesen Kreislauf dauerhaft zu durchbrechen, bemüht sich die WHO seit 2020, die unsichere Schluckimpfung mit Lebend-Impfstoff konsequent durch die Injektion von inaktivem Impfstoff zu ersetzen. Allerdings ist diese Variante aufwändiger und mit mehr Kosten verbunden.

Derzeit gibt es weltweit noch zwei Länder, in denen jedes Jahr Fälle von Wild-Polio gemeldet werden, nämlich Pakistan und Afghanistan. Besonders in letzterem dürfte sich die flächendeckende Immunisierung der Bevölkerung so lange als schwierig erweisen, bis sich dort wieder zentral geordnete Strukturen etabliert haben.

Eine aktuelle Übersicht über bestätigte Fälle von Polio findet ihr übrigens hier: Weltkarte mit Polio-Fällen

Auch zur Geschichte der Lepra haben wir Anfang dieses Jahres bereits einen Beitrag veröffentlicht. Zum Volltext kommt ihr hier: Die Geschichte der Lepra.

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