Die soziale Macht der Schönheit – Teil 5

5
(2)

Bild ©Lightworks-Gallery, V. Schrader

Eine kleine Artikelserie von Dr. med. Margrit Lettko (Medizinische Direktorin des Netzwerk Ästhetik) und Dirk Brandl (Sprecher Netzwerk Ästhetik)

Habt ihr die ersten vier Teile dieser Artikelserie bereits gelesen? Wenn nicht, dann folgt am Besten diesem Link um ganz vorne einzusteigen, oder den folgenden Links für für Teil 2, Teil 3 und Teil 4.

Die gesellschaftliche Bedeutung der Attraktivität

Mag auch der erste Eindruck durch unsere instinktiven Reproduktionsmechanismen gesteuert sein, es gehört weit mehr dazu, auf längere Sicht auf andere Menschen attraktiv zu wirken. Mit dem ersten Eindruck haben wir nur die erste Schwelle überwunden, mehr nicht.

Betrachten wir zunächst die Auswirkungen von Attraktivität. Bernd Guggenberger, Professor für politische Wissenschaften, sagt: “Der Schöne lebt in einer anderen Welt; ihn umgibt ein Faraday’scher Käfig sozialer Hegung und fürsorglicher Begehr“.  Und weiter: „Schönheit verkörpert soziale Macht in ähnlich reiner Unmittelbarkeit wie sonst nur noch die rohe Körperkraft.“ Schönheit sei ihrem Wesen nach zutiefst undemokratisch und verstieße aufs Gröbste gegen unser Empfinden für Gerechtigkeit. Was wir verdienen, soll verdient sein. Die Schönheit sei eines unserer letzten Tabus und ein großes „Ärgernis in der Epoche der Egalität“. So gesehen kann man Schönheit nur noch als Skandal betrachten, mit der schon ganz früh einsetzenden Erfahrung der sozialen Macht der Attraktiven.

Ergebnisse der Attraktivitätsforschung

Attraktive Menschen werden in vielen gesellschaftlichen Bereichen, sozialen Situationen, ja sogar in persönlichen Interaktionen bevorzugt. Dies legen uns zu mindestens zahlreiche Studien nahe, die Einzelaspekte untersucht haben. Wir möchten hier einige der Studien in kürzerer Form benennen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen, weil diese Studien unsere Arbeit in der Ästhetik kaum beeinflussen. Was wir dazu lediglich erinnern sollten, ist die Tatsache, dass Menschen aus gutem Grund ihre Attraktivität steigern wollen. Wenn es Euch auch so geht wisst Ihr jetzt, dass Ihr damit nicht alleine seid.

  • Attraktivitätsstereotyp
    In der Vergangenheit gab es viele Studien zu der provokanten Frage: Ist schön auch gut? Ihre Ergebnisse waren sich ziemlich ähnlich. Den Attraktiven wurden mehr Fähigkeiten und bessere Charaktereigenschaften zugesprochen oder angedichtet, und zwar unabhängig vom Geschlecht sowohl der Bewerteten als auch der Bewerter. Je attraktiver eine Person ist, umso mehr gute Eigenschaften hat sie (Attraktivitätsstereotyp). Es ist definitiv besser, schön bzw. attraktiv zu sein, denn es zahlt sich schon in der Kindheit aus. Schöne haben einen deutlichen Vorsprung, bekommen mehr Aufmerksamkeit und mehr Geduld entgegengebracht.
  • Von Kindesbeinen an
    Aufgrund einer Metaanalyse (= eine Analyse verschiedener Einzelanalysen) schloss Langlois, dass attraktive Kinder und Erwachsene nicht nur positiver beurteilt werden als unattraktive Kinder und Erwachsene – selbst von denen, die sie kennen – sondern dass sie auch positiver behandelt werden. Solche Urteile gehen auch in die Interaktion von Mutter und Kind ein. Mutterliebe ist demnach nicht absolut und nicht immer bedingungslos und schon gar nicht gleich auf alle Geschwister verteilt.
  • Intelligenz
    Fast alle Studien in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die attraktiveren Menschen im Vergleich zu den weniger attraktiven auch als kompetenter und intelligenter wahrgenommen werden. Am stärksten ist diese stereotype Macht, wenn so gut wie keine relevanten Informationen bezüglich der Kompetenz und der Intelligenz vorliegen. Diese stereotype Einschätzung führt dann zwangsläufig dazu, dass solche Menschen auch anders behandelt werden, ohne dass sich die Handelnden darüber bewusst wären.
  • Soziale Kompetenz
    Das Entgegenkommen der Umwelt hat nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit und die sozialen Kompetenzen und scheint sogar deren intellektuelle Entwicklung zu beschleunigen. Der kumulative Einfluss von derartigen positiven Interaktionen muss Spuren in der Persönlichkeit und in der sozialen Kompetenz hinterlassen.
  • Karriere
    Attraktive Bewerber haben bei Einstellungen die besseren Karten und kommen auch später schneller auf der Karriereleiter nach oben. Schon Markus Möbius und Tanya Rosenblatt von der Harvard Universität haben 2004 experimentell gezeigt, dass die Attraktiveren klar bei der Einstellung und beim Gehalt bevorzugt wurden, wobei das bessere Auftreten der Attraktiveren auf höhere soziale Kompetenz zurückzuführen war und deren bessere kommunikativen Fähigkeiten. Laut Hakim scheint der Geschäftswert von erotischem Kapital zu steigen und steigt um ein Vielfaches, wenn zusätzlich noch ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital vorhanden ist. Wer Geld hat, kann sich eine schöne Frau oder einen schönen Mann leisten. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Verbindungen auch Kinder mit überdurchschnittlichem erotischem Kapital zeugen, muss größer als in anderen Verbindungen sein. Der Gedanke, dass sich dadurch auf lange Sicht auch biologisch manifestierte Klassenunterschiede entwickeln, ist nicht von der Hand zu weisen. Bei der Bewerbung für eine Führungsposition wird bei Frauen allerdings schnell das Stereotyp „Weibchen“ herausgeholt – „weich, wenig Durchsetzungskraft“. Die Wirtschaftswoche empfiehlt deshalb ihren Leserinnen sogar maskuline Ausrüstung (z.B. Anzug tragen). 
  • Status und Gehalt
    Gerade im Bereich der Arbeit scheint sich der Einflussfaktor Attraktivität zunehmend zu festigen. Je mehr Dienstleistung erwartet wird, um so wichtiger wird dieser Faktor. Der Attraktivitätsvorsprung aus der Kindheit bleibt auch im weiteren Leben erhalten. In den Chefetagen sind die Großen unter sich. Mehr als 90% der Manager in den führenden deutschen Firmen sind 1,80 m und größer. Fast 50 % misst über 1,90 m. Der Durchschnittsmann ist 1,77 m. Bei Männern scheint Körpergröße wichtig zu sein, wenn es um die Position und um das Einkommen geht, bei Frauen spielt dies wohl keine Rolle. Eine Größe von 1,91 m bei Männern und mindestens 1,60 m bei Frauen gilt als die beste Voraussetzung für berufliches Vorankommen. Das schönste Drittel der Männer verdient 5% mehr, bei Frauen 4%.

Das Wirken des Attraktivitätsstereotyps scheint sich zwar nicht auf Erste-Eindruck-Situationen zu beschränken, ist hier aber am mächtigsten. Je besser wir jemanden kennen, desto geringer wird das Gewicht des Stereotyps. Wer mit einem angenehmen Äußeren gesegnet ist, hat schlichtweg mehr Bonität. Wir leben in einer von Schönheit (und natürlich auch Kapital) dominierten Klassengesellschaft, nur wir merken es nicht oder wir wollen es nicht wahrhaben.

Im VI und letzten Teil unserer Serie beschäftigen wir uns damit, warum Botox glücklich macht. Dort findet ihr auch eine Übersicht aller besprochener, oder zitierter Werke.

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Kommentar verfassen