Antidepressiva – Emotionale Abstumpfung durch SSRI?

Emotionale Abstumpfung durch Antidepressiva
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Der häufige Gebrauch von Antidepressiva ist ein typisches Phänomen moderner westlicher Zivilisation. Die medikamentöse Regulation bestimmter Botenstoffe in unserem Gehirn verspricht schnelle und wirkungsvolle Hilfe bei depressiven Beschwerden und wird von Therapeuten oftmals recht bereitwillig verschrieben. Doch nicht immer werden die Vor- und Nachteile einer solchen medikamentösen Behandlung gegeneinander abgewogen. Denn darüber, dass Antidepressiva häufig auch gravierende negative Nebenwirkungen haben können, wird allzu oft nur stiefmütterlich aufgeklärt.

Ein Team der Universität Cambridge konnte nun in einer Vergleichsstudie aufzeigen, dass die Einnahme Selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) selbst bei psychisch gesunden Probanden zu einer emotionalen Abstumpfung führen kann. Wie es dazu kommt und wie hoch das Risiko einer solchen Wesensveränderung sein kann, haben wir für euch recherchiert.

Der Denkanstoß zur Studie

Depressionen sind allgegenwärtig

Laut dem britischen Office for National Statistics (ONS) – das Pendant zum deutschen Statistischen Bundesamt – litten im Sommer 2021 rund 17% aller Erwachsenen in Großbritannien unter einer Form von Depression. Häufig beschreiben Patienten, denen SSRI Depressiva verschrieben wurden, eine schleichende emotionale Abstumpfung. Schätzungen zufolge stellt sich eine solche Veränderung in 40-60% aller Fälle ein. Mal in stärkerer, mal in schwächerer Ausprägung.

Prof. Dr. Barbara Sahakian von der Abteilung für Psychiatrie und Hauptautorin der Studie ging von der Annahme aus, dass SSRI Antidepressiva den Patienten zwar einen Teil ihres emotionalen Leidensdrucks, aber gleichzeitig auch einen Teil ihrer Freude nehmen. Ein klassischer Kuhhandel könnte man sagen. Diesem Phänomen wollte man sich mit der im Folgenden beschriebenen Studie erstmalig annähern.

Der Studienaufbau

Insgesamt wurden 66 Teilnehmer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren rekrutiert, bei denen bis dato noch nie depressive Beschwerden festgestellt worden waren und die demnach als vermeintlich gesund eingestuft wurden. Entsprechend ihres Alters, Geschlechts und IQs wurden die Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt zu je 32 und 34 Mitgliedern. Die Beobachtungsgruppe erhielt über einen Zeitraum von mindestens 21 Tagen täglich 20 Gramm des Antidepressivums Escitalopram, während die Kontrollgruppe ein Placebo erhielt. Die Studie fiel somit aufgrund der angelegten Kriterien unter die Rubrik doppelblind und Placebo-kontrolliert.

Direkt vor der Medikamentengabe sowie am Ende der gesamten Studie wurden die Probanden gebeten, Fragebögen auszufüllen, um ihre Persönlichkeitsmerkmale zu erfassen und eventuelle Veränderungen zu registrieren. Die Fragen deckten dabei die Bereiche Angst, Impulsivität und Zwanghaftigkeit ab. Gleichzeitig waren aber auch Lernverhalten, Hemmungen, Verstärkungsverhalten oder Entscheidungsfindung wichtige Kriterien. Hierbei konnte das Forscher-Team keine signifikanten Unterschiede zwischen den Teilnehmer-Gruppen zu Beginn des Experiments feststellen.

Während der Medikamenten-Phase mussten die Studienteilnehmer einen speziell hierfür entwickelten Test absolvieren. Hierbei erhielt eine von zwei vorgegebenen Auswahl-Entscheidungen eine positive Verstärkung und die andere nicht. Ohne kausalen Zusammenhang oder Ankündigung änderte sich zwischenzeitlich die positiv verstärkte Entscheidungs-Option. Die Probanden mussten sich also umstellen. Mitgliedern der Beobachtungsgruppe, welche Escitalopram einnahmen, zeigten hierbei eine deutlich verzögerte Verhaltensänderung als die Kontrollgruppe mit dem Placebo.

Schlussfolgerungen der Studie

Antidepressiva schmälern Freud und Leid

Prof. Sahakian formulierte die These, dass die Hemmung des Botenstoffs Serotonin und die damit verbundene gesenkte Empfänglichkeit für Belohnungen das auslösende Moment für die emotionale Abstumpfung sein könnte. Wenn positives wie auch negatives Feedback schlechter und vor allem später wahrgenommen würden, sei der daraus resultierende Lerneffekt deutlich verzögert und sogar abgeschwächt zu realisieren.

In einfachen Worten ausgedrückt:
SSRI-Antidepressiva nehmen auf der einen Seite den emotionalen Schmerz von Patienten, mindern aber auch die Fähigkeit, Freude zu empfinden. Daher reagieren betroffene Menschen weniger auf positives oder negatives Feedback ihrer Umgebung und stumpfen so im Laufe der Zeit ab. Es gibt schlichtweg weniger Abweichungen vom emotionalen „Normal-Zustand“.

Anmerkung unseres Redaktions-Teams

Natürlich sind gezielt eingesetzte Antidepressiva für viele von Depressionen betroffene Menschen eine unglaublich wohltuende Stütze, um ihren Alltag in geregelte Bahnen zu lenken. Doch sollte bei Patienten wie auch Therapeuten immer die Frage im Raum stehen, ob das Ziel einer Langzeit-Therapie nicht die Reduktion oder vollständige Absetzung von Medikamenten sein sollte. Der Mensch ist ein emotional ungemein sensibles Wesen. Diese hervorstechende Eigenschaft durch SSRI-Antidepressiva kategorisch und langfristig zu betäuben kann demnach nicht im Interesse aller Beteiligter liegen.

Soziale Kontakte statt Antidepressiva

Gleichzeitig ist der Mensch aber auch ein stark sozial fokussiertes Wesen. Der Halt, den Freunde, Familie und (Ehe-)Partner geben können ist auch aus therapeutischer Sicht niemals zu unterschätzen. Psycho- wie auch Ergotherapie zusammen mit einem kreativen Hobby können oftmals mehr bewirken als eine reine emotionale Abstumpfung durch Psychopharmaka.

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