Das Phänomen Placebo und seine Bedeutung für die Medizin – Teil 1

Placebo Teil 1
4.7
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Dirk Brandl über den Placebo Effekt

Teil 1 – Die aktuelle Studienlage

„Das ist doch höchstens ein Placebo Effekt.“ Mit solchen und ähnlichen Äußerungen wird gegen alternative und komplementäre Heilmethoden vorgegangen. Insbesondere wird gegen die Homöopathie und andere energetische Heilmethoden zu Felde gezogen. Beschäftigt man sich jedoch mit dem Effekt oder Phänomen der Placebo Wirkung, lassen sich ganz viele wichtige Informationen gewinnen.
Grundlage dieser Publikation ist eine Veröffentlichung der Bundesärztekammer aus dem Jahre 2010. Diese Institution ist wohl auch für jeden Kritiker der Extended Medicine (Alternativ-, Komplementärmedizin) akzeptabel. Die Veröffentlichung lautet: Placebo in der Medizin – eine Stellungnahme. Herausgegeben von der Bundesärztekammer auf Empfehlung ihre Wissenschaftlichen Beirats. (hier geht’s zum Original-Text)

Placebo-kontrollierte randomisierte Doppelblindstudien

Wie bekannt werden Medikamente einer genauen Wirkungsprüfung unterzogen bevor sie zugelassen werden. Dies sind die so genannten Phase I, II und III Studien, die auch Laien bei der Zulassung der Corona Impfstoffe kennengelernt haben. Man spricht bei solchen Studien von randomisierten, placebo-kontrollierten Doppelblindstudien. Hier nochmals zur Auffrischung eine kurze Erklärung: Doppelblind heißt, dass für eine Studie mindestens zwei Gruppen von Probanden ausgewählt werden, die möglichst in etwa gleich groß sein sollten. Die eine Gruppe erhält den Wirkstoff (das Verum), die andere Gruppe erhält ein Placebo. Placebo bedeutet hier, dass keinerlei Wirkstoff in dem Stoff, den die Patienten zu sich nehmen, enthalten sein darf. Kein Patient weiß, in welcher der beiden Gruppen er sich befindet („blind“), weil Wirkstoff und Placebo gleich aussehen. Randomisierung bedeutet, dass die Zulassung der Probanden zu den beiden Gruppen nach dem Zufallsprinzip erfolgt.

Auch die Ärzte, die die Studie praktisch durchführen, wissen nicht, welcher Patient in welcher Gruppe ist, deshalb „doppelblind“. Man hat diese Methode entwickelt, damit man die „tatsächliche“ Wirkung auf den Körper des zu untersuchenden Stoffes herausfindet. Man hatte nämlich bemerkt, dass viele Patienten eine positive Wirkung entfalten aus verschiedenen Gründen, weil sie an die Wirkung glaubten, weil sie an das glaubten, was der Arzt ihnen erzählt hat, weil sie auf eine Verbesserung ihres Zustandes durch die Teilnahme an der Studie hofften oder weil der Arzt ihnen besonders sympathisch war. Kurz gesagt, neben der körperlichen Wirkung spielte offenbar die Psyche der Probanden eine wichtige Rolle für die Wirkung. Doppelt verblindete Studien waren früher nicht üblich. Man ließ Medikamente zu, die in Studien eine sehr gute Wirkung entfalteten, die aber später dann nach der Zulassung nicht an die guten Ergebnisse heranreichten.
Inwieweit man tatsächlich durch dieses Studiendesign zu scheinbar objektiveren Ergebnissen gelangt, ist eine der Fragen, die hier diskutiert werden soll.
Zur Bedeutung des Placebo Effektes für jeden Behandler soll hier aus dem Vorwort der Stellungnahme zitiert werden:

„Diese Stellungnahme des AK Placebo (= Arbeitskreis Placebo, bestehend aus 12 Personen) soll dazu beitragen, das Bewusstsein in der Ärzteschaft dafür zu schärfen, dass der Placeboeffekt bei jeder Behandlung, auch bei einer Standardtherapie auftritt. Deshalb empfiehlt die Arbeitsgruppe, Ärztinnen und Ärzten bereits in der Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung tiefergehende Kenntnisse der Placeboforschung zu vermitteln, um erwünschte Arzneimittelwirkungen zu maximieren, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten zu verringern und Kosten im Gesundheitswesen zu sparen.“ (Vorwort S. VIII)

Die enge und die weite Definition vom Placeboeffekt

Die enge Definition lautet, dass der Proband etwas zu sich nehmen muss, die weite lautet, dass dies nicht notwendig ist, sondern dass die Arzt-Patient Interaktion reicht. Die Autoren gehen übrigens explizit auch darauf ein, ob man den Placeboeffekt einer einzelnen Therapie z.B. aus dem komplementären Spektrum zuordnen kann wie der Homöopathie. Dies wird ausdrücklich verneint, weil der Effekt in jeder therapeutischen Praxis eine Rolle spielt. Zwar könne man die Homöopathie durchaus mit dem Placeboeffekt zu erklären versuchen, die Autoren lehnen dies jedoch ab: „Da zwischen beiden Intentionen (hochverdünnte homöopathische Arzneimittel versus pharmakologisch wirksame Substanzen, Anm. des Autors) jedoch ein Graubereich liegt und um Begriffsverwirrungen zu vermeiden, scheint es in der therapeutischen Alltagspraxis sinnvoller, die Diskussion über Placebo im Allgemeinen und Wirksamkeit von Therapieverfahren getrennt zu führen. (S. 12)

Es ist schon fast ein Treppenwitz der Medizingeschichte, dass ausgerechnet Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, bei seinen Patienten als erster in Deutschland mit Placebos gearbeitet hat. Der Hintergrund war, dass die Patienten bei Hahnemann die Globuli nur in großen Abständen verabreicht bekamen. Das sah er als Nachteil an, weil die Patienten, die allopathisch behandelt wurden, täglich medikamentiert wurden. Deshalb verabreichte er seinen eigenen Patienten Milchzucker in der Zwischenzeit, damit die Patienten das Gefühl hatten, täglich behandelt zu werden.

In der Praxis unterscheidet man auch noch zwischen reinen Placebos und unreinen oder Pseudo-Placebos. Letztere sind solche, die durchaus einen Wirkstoff haben können, der aber nichts mit der Medikation für eine Diagnose zu tun hat. Dies passiert in ärztlichen Praxen durchaus öfter als wir uns dies denken. Wenn der Arzt annimmt, dass sich der Patient in einen Zustand hineingesteigert hat und in Wirklichkeit keine Erkrankung vorliegt, verschreibt er zur Beruhigung ein Medikament, das zwar Wirkungen hat, aber keine Wirkung auf den beschriebenen Zustand des Patienten. Dies geschieht dann zur Beruhigung. Die Verschreibung von Antibiotika bei Grippeviren ist ein Beispiel dafür. Dieses Verhalten wird natürlich sehr umfangreich diskutiert in der Publikation, sowohl unter ethischen als auch juristischen Gesichtspunkten.

Und dann gibt es auch noch den Nocebo (lateinisch: Ich werde schaden) Effekt. Man kann einen Patienten durch Äußerungen auch krank machen, ihn also negativ beeinflussen, beim Placebo wird ja positiv beeinflusst.

Suggestion, Spiegelneuronen und Bio-Feedbackmechanismen

In jedem Fall spielt eine Art von positiver Suggestion eine Rolle bei der Placebowirkung, sei es nun Auto-Suggestion oder Suggestion durch äußere Bedingungen wie den Arzt oder die Therapiesituation, also das therapeutische Setting. Darf man davon ausgehen, dass alle Patienten gleich stark auf Placebos reagieren? Erstmals wurde in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Meta Analyse festgestellt, dass bei Patienten ca. 35 % stark auf den Placeboeffekt reagierten (Responder Konzept). Das ist zwar eine ziemlich große Zahl, aber: Es ist davon auszugehen und damit der Stellungnahme zu folgen, dass eigentlich alle Patienten beeinflusst werden, weil Placebo ein natürlicher und wichtiger Bestandteil einer Therapie ist. Es hängt jedoch von den Bedingungen ab, wie stark die positive Beeinflussung bei jedem Einzelnen ist.

Positive Beeinflussung kannten in der Vergangenheit bereits die Schamanen der Naturvölker, deren therapeutisches Setting sehr ausgeklügelt war und die deshalb auch sehr gute Heilerfolge verzeichnet haben. Claude Levy-Strauss, der bekannte Ethnologe und Strukturalist, hat eine strukturalistische Beschreibung schamanistischer Heilung vorgelegt. Heilung ist ein psycho-physischer Prozeß der Einwirkung auf den Kranken und die Gruppe, in der er lebt, der in ritualisierter Form geschieht. Krankheit wird definiert als Störung eines umfassenderen Systems, der Gruppe, des Clans oder des Dorfes. Aufgabe des Schamanen ist es, dem Kranken seine Probleme bewusst zu machen, damit sie dem Gruppenorganismus präsent werden und sich damit integrieren lassen. Die Krankheit gilt erst dann als geheilt, wenn die Integration abgeschlossen ist und der Gruppenorganismus wieder harmonisch funktioniert.
In jüngerer Zeit hat uns die Wissenschaft mit dem Phänomen der Spiegelneuronen bekannt gemacht. Dies bedeutet, dass sich in unserem Gehirn neuronale Prozesse abspielen, die sich von Mensch zu Mensch übertragen. Dies scheint eine mögliche Erklärung für einen wichtigen Teil des Effektes zu sein, der Interaktion zwischen Arzt und Patient.

Im weiteren Verlauf der Untersuchung des Phänomens Placebo wurde deutlich, dass unser Geist auch unseren Körper beeinflussen, der Effekt also nicht nur psychisch gesehen werden kann. Dies wurde deutlich, als man sich mit den Endorphinen beschäftigte. Endorphine, die körpereigenen Glückshormone, können auch durch den Placeboeffekt ausgeschüttet werden und so z.B. Schmerzen positiv beeinflussen (S. 28).

In Teil 2 wollen wir uns mit den Ergebnissen der Placeboforschung für die therapeutische Praxis beschäftigen.

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