Plädoyers für eine Erweiterte Medizin 5 – Über die Dialektik von Erfahrungswissen und moderner Medizin am Beispiel der klassischen und manuellen Verfahren

5
(2)

Volker Schrader

Das Thema, das hier diskutiert werden soll, geht weit über die klassischen und manuellen Verfahren hinaus, denn diese haben bereits eine Nische innerhalb der Universitätsmedizin erobern können. Dahinter aber stecken viel fundamentalere Fragen, die für die Medizin heute dringend geklärt werden müssen, wie etwa die Frage, wieviel Einfluss die multinationalen Konzerne auf unsere Gesundheitspolitik haben dürfen, aber auch ethische Fragen, die mittlerweile sogar kontrovers im Bundestag diskutiert werden und die auch innerhalb der Heilberufe längst nicht geklärt werden konnten. Gemeint ist hier der Widerspruch zwischen der Aufgabe, Leben zu erhalten statt es beenden zu dürfen, wie dies von einem Teil der Mediziner gefordert wird, um strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht zu werden.

Die ethischen Grundfragen der Medizin heute

Die Coronajahre weisen mit Nachdruck darauf hin, das Verhältnis von „moderner“ Medizin und traditionellen Verfahren genauer zu bestimmen.

Unstrittig ist die Tatsache, dass die Herstellung eines adäquaten Impfstoffes – Stichwort Covid-19 – in einer derartigen Geschwindigkeit phänomenal und genial ist, eine Großtat der modernen Medizin.

Ich warne davor, die Probleme, die natürlich auch im Zusammenhang eines jeden anderen Fortschritts durch mit einhergehende negative Sekundäreffekte existieren, als Anlass dafür zu nehmen, fortschrittsfeindlich zu werden. Auch die persönliche Abneigung, sich zu impfen, darf nicht zu der Einstellung führen, dass die Menschheit ohne diese Errungenschaften auskäme. Es sei denn, man findet, dass Epidemien oder Pandemien ein probates Mittel sind, um Bevölkerungszahlen zu regulieren. Die Millionen Indianer, die der eingeschleppten Maserninfektion erlagen, hätten sicher gerne eine Impfung bekommen. Unabhängig davon gibt es klare Anzeichen dafür, dass ständiges Impfen, d.h. manisches Vermeiden von Krankheiten, zu sehr schädlichen systemischen Nebenwirkungen führen kann. Andererseits: Ohne den Einsatz der durchaus auch schädlichen Antibiotika würden jährlich Millionen an Tuberkulose sterben.

Unter ethischen Gesichtspunkten ist es Aufgabe des menschlichen Wesens, an der Erhaltung des Lebens zu arbeiten und nicht suizidale Bestrebungen zu unterstützen. Das gilt generell auch im Zusammenhang der vieldiskutierten Fragestellungen von Abtreibungen, Euthanasie, Operationen und Sterbehilfe, die allerdings im Einzelfall auch anders entschieden werden können.

Eine Entscheidung gegen die natürlichen Abläufe durch regulierenden Einfluss des Menschen ist immer problematisch. Es entsteht nämlich die Frage nach den Kriterien für derartige Maßnahmen, und wer die Macht über ihren Einsatz hat. Wir haben in Nazi Deutschland einen bizarren Geschmack davon erleben dürfen, wie das aussehen kann, wenn gewissenlose Machthaber sich unfertiger liberaler Gesetze einer jungen Demokratie zur Durchsetzung ihrer Interessen bedienen. Allerdings sind diese genannten Streitthemen nicht ideologisch zu klären, sondern auf einer pragmatischen Basis. Das Stadium der Triage während der Coronakrise, auf der Basis und als Ergebnis einer darauf nicht vorbereiteten Gesundheitspolitik, macht das Dilemma sehr deutlich.

Interessengebundenheit versus Ethik – die ewige Streitfrage

Besserwisser sind bei diesen Diskussionen nicht hilfreich, ihnen fehlt es meist an Empathie.

Was also ist die „moderne“ Medizin? Sie besteht auf der Grundlage einer Universitätsmedizin. Das heißt, sie ist das Produkt eines Wissenschaftsbetriebes und folglich in extremer Abhängigkeit zu den im Hintergrund agierenden Konzernen der Pharmazie und Technologie. Es werden Forschungsgelder gegeben für Forschungen und Studien, die den Beweis liefern sollen, dass der Einsatz der Produkte dieser Konzerne der medizinische Fortschritt schlechthin ist. Die Gesundheitspolitik ist wesentlich mit diesen Interessen durch Lobbyisten vernetzt, was zu großer Einseitigkeit und Schädlichkeit in diesem Bereich der Medizin führt. Die statistisch erhobenen Verlängerungen der Lebenszeit werden lediglich durch eine Lebensphase erreicht, die der Patient nur noch durch den Einsatz dieser Mittel verlängert. Da werden gespenstische Tablettencocktails von den älteren Menschen eingenommen, kein Jahr vergeht ohne schädliche MRTs oder CTs. Das persönliche und durchaus heilende Verhältnis von Arzt und Patient wird total entfremdet und damit sogar pathogen. Bei dieser Art des Verständnisses von Medizin muss sich niemand wundern, dass bei Fehlern sofort der Rechtsanwalt engagiert wird und es Schadensersatzklagen und Strafverfahren hagelt.

Gibt es Engpässe, wie dies bei Corona täglich auftritt, wird in die Technologie investiert. Intensivstationen sind genug vorhanden, aber sie stehen leer, weil das Personal fehlt.

Das sieht in den deutschen Schulen wie wir alle wissen ähnlich aus.

Vermutlich warten die Industrie und Gesundheitspolitik auf die Zukunft, in der nicht mehr der Arzt, sondern ein Automat (d.h. ein Algorithmus) konsultiert und die nachfolgende Operation von einem Roboter durchgeführt wird. Ein Hoch auf die modernen Kraftfahrzeugwerkstätten der Humanmedizin. Bei der manchmal beängstigenden geistig-moralischen Reife einiger praktizierender Mediziner könnte es sein, dass sich der Patient dabei durchaus sicherer fühlt.

Hinzu kommt die große Zahl von Kollateralschäden bei dieser Art der Medizin. 20.000 Verstorbene jährlich durch direkte Kunstfehler der „modernen“ Medizin sind ein eindrucksvolles Zeugnis für diese Verirrungen. Dabei sind die Toten durch verordneten Medikamentenmissbrauch nicht einmal enthalten.

Das Ziel bei dieser Veranstaltung ist ja auch nicht der gesunde Mensch, sondern der im Arbeitsprozess funktionierende. Aus diesem gespenstischen Konglomerat von Unmenschlichkeiten gehen so viele Schäden hervor, wie andererseits Reparaturen realisiert werden.

Dem Patienten so nah – und doch so fern

Das alles ist aber kein Grund dafür, den Fortschritt und die Ergebnisse des Fortschrittes abzulehnen. Die Bedingungen, in denen Gesundheitspolitik stattfindet, müssen radikal verändert werden, damit Humanmedizin ihrem Begriff auch gerecht werden kann.

Dabei ist es kontraproduktiv, einen Freund, nicht zu sagen Lobbyisten der Pharmaindustrie zum Gesundheitsminister zu machen (Lobbypedia). Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass dieser Fortschritt natürlich auch massenhaft Überflüssiges und nicht nur Schädliches gebiert.

Selbstverständlich dürfen wir nicht vergessen, dass es sich hier um die Grundlagen der Praxis der Medizin in Politik und Gesellschaft handelt. Natürlich ist der Lobbyismus der Konzerne derart zahlungskräftig, dass Politik und Medien nach ihrer Pfeife tanzen.

Das gilt aber mitnichten vor Ort in den zahlreichen Praxen. Der eigene Patient liegt vielen Medizinern tatsächlich noch am Herzen, d.h. näher, und das führt natürlich dazu, dass viele Mittel und Therapien den Patienten angeboten werden, die besser helfen und vor allem nebenwirkungsärmer sind als die Klopfer aus den chemischen Fabriken. Durch Zusatzausbildungen erwerben sie die Zertifikate, um ihre Patienten mit Akupunktur, Homöopathie, manuellen Therapien, Laser, Phytotherapie und Sauerstoffgeräten zu behandeln.

Wenn alles im Leben: Ernährung, Bildung, Ausbildung, Medizin, Rechte und der Glaube den Verwertungsinteressen der multinationalen Wirtschaft untergeordnet wird, dann gerät der Humanismus in die Schieflage.

Therapien, die durchaus im Rahmen schulmedizinischer Selbstverständlichkeiten und Paradigmen angeboten werden, aber noch als exotisch gelten, gibt es zuhauf. Meist wirken sie in übergeordneter oder ganzheitlicher Weise auf den Kranken ein.

Die Gebrüder Huneke, Entwickler der Neuraltherapie, haben ein differenziertes System der menschlichen „Meridiane“ bzw. Energiebahnen kartographiert und benutzten es als Vorlage für ihre Interventionen. Ihrer Auffassung nach entstehen Krankheiten durch Blockaden der Energieflüsse im menschlichen Körper, die sowohl intrinsisch als auch extrinsisch verursacht sein können. Narben -vordringlich als Folge der Tonsillen Entfernung – müssten entstört werden. Dafür werden Quaddeln gesetzt, einige spritzen auch direkt bis tief in den Körper mit Procain und Lidocain, um die Zellen zu anästhesieren. Dies dient dem Zweck, dass sie sich in diesem Zeitraum wieder an ihr ursprüngliches Programm erinnern und dadurch die Störung behoben werden kann. Wird die Neuraltherapie systemisch eingesetzt, ist sie hocheffektiv, allerdings nur von Ärzten zu praktizieren (bis auf das Quaddeln).

Ähnliches gilt für die Sauerstofftherapie in Form der Oxyvenierung oder die Sauerstoffhochdrucktherapie. Die Verfahren sind dafür da, zentrale Baustellen des Körpers zu entschärfen wie Arteriosklerose oder entzündliche Prozesse, die Auslöser für zahlreiche Immunkrankheiten, wie z.B. Rheuma sind.

Spätestens seit Herrn Kneipp ist der Bereich des körperlichen Wohlbefindens Bestandteil schulmedizinischer Praxis, übrigens ganz im Sinne der WHO Präambel. Bäder, Massage, Sauna werden empfohlen vor allem in der Regeneration und bei Kuren, um die körperliche Fitness bzw. das Immunsystem zu unterstützen. Jogging oder Walking gehören zu den dringenden Empfehlungen eines jeden Arztes, um die Gesundheit der Patienten zu erhalten oder wiederherzustellen. Auch hierbei ist das rasche Integrationsziel – die Wiederherstellung der Funktions- und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz – eine eher kontraproduktive Wende. Das Angebot der Sport- und Fitnessindustrie ist eine ähnliche Ausgeburt wie der propagierte Verkauf von Medikamenten für jedes Zipperlein. Fastenkuren sind vereinzelt eingesetzt sinnvoll, ständige Diäten bis zur Anorexie ihre Perversion.

Im Rahmen dieses therapeutischen Segments gibt es viele Angebote manueller Therapien, die meist das Ziel haben, quälende Symptome zu beseitigen. Dazu gehören die strukturelle Körperarbeit, die Feldenkrais-Methode, Osteopathie, Chiropraktik und viele mehr. Ist es notwendig, den Patienten wieder oder überhaupt mit seinem Körper vertraut zu machen, kann man auf sie kaum verzichten. In der traditionellen asiatischen Medizin gehören sie als konstitutiver Bestandteil zu jeder Therapie, ganz nach der Devise, „mens sana in corpore sano“.

Der Mensch-Konsument

Als Konsument ist der Mensch wertvoll für die Rendite und den Profit, dafür bleibt er sinnvollerweise chronisch krank. Das sind kalkulierbare Einkünfte. So soll es sein. Aber nur, weil Kriege geführt werden, wollen wir auch nicht auf die Erfindung des Schwarzpulvers verzichten. Der Kampf um eine menschliche Welt ist permanent zu praktizieren und endet niemals. Wichtig ist es, sich nicht von Geschäftsinteressen vereinnahmen zu lassen. Angebliche Bildungsveranstaltungen der Industrie, die kaum etwas kosten, sind Marketingveranstaltungen für ein bis mehrere Produkte eines Konzerns. Mit Bildung haben diese Veranstaltungen wenig zu tun. Alle im Heilberuf Tätigen sollten auf diese Events verzichten geschweige denn sich aufgewertet fühlen. Kanonenfutter wurde immer schon in allen Kriegen verstümmelt und dann mit Orden ausgezeichnet.

Auch der Beruf der Heilpraktiker oder Physiotherapeuten ist natürlich nicht frei von finanziellen Interessen. Da die heutige Massenmedizin kaum noch Zeit für den Einzelnen hat, rennt alles zum Heilpraktiker, weil man hier noch spezifisch respektiert und behandelt wird. Inzwischen ist auch hier eine alternative Industrie entstanden, die sich den Verwertungsinteressen der Wirtschaft nicht erwehren kann. Diese nimmt leider zunehmend Einfluss auf diese Sparte der Heilberufler und wir alle sollten hoffen, dass dies Eintagsfliegen bleiben oder sie zumindest mittelständische Größenordnung nicht überschreiten, ansonsten…“Adieu Gesundheit“.  

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Kommentar verfassen