Opioide in den USA – Ein Lehrstück über Gier, Tod und fehlende Moral
Allein 2021 sind 100.000 Drogentote in USA zu beklagen. Im Verhältnis zu Deutschland, das 2020 etwa 1.500 Drogentote verzeichnete, ist diese Zahl außerordentlich hoch. Wie ist es dazu gekommen? Wir wollen in diesem Artikel einmal ein Mosaik von Informationen zusammenstellen, die seit einigen Jahren als Einzelnachrichten zu uns über den großen Teich herüberschwappen. Dieses Mosaik zeigt ein erschreckendes Bild, weil es so viele Facetten miteinander vereint. Und weil es zeigt, wie kriminell die handelnden Personen operieren. Die Mafia kann sich eine Scheibe davon abschneiden.
Die Sacklers und die Saat des Todes
Bis vor kurzem war die Sackler Familie nur bekannt, weil mit ihrem Namen in vielen wichtigen Museen wie dem Louvre und dem Metropolitan ganze Abteilungen benannt wurden, sie somit zu den wichtigen Sponsoren der Kunstszene gerechnet wurden. Im Metropolitan Museum in New York war der Flügel mit dem Altägyptischen Dendur-Tempel nach der Familie benannt. Das Guggenheim Museum, das Smithsonian und Universitäten wie Harvard und Oxford haben der Familie Räume gewidmet.
Wo kommt das ganze Geld her, mit dem die Sacklers um sich schmeißen konnten? Das wurde in der Öffentlichkeit bekannt, weil die Museen und Universitäten plötzlich ihre Abteilungen umbenannt haben und auch von den Sacklers kein Geld mehr annehmen wollen. Wie? Das ist ja äußerst ungewöhnlich, dass Museen kein Geld nehmen!
Den Sacklers gehört(e) eine Pharmafirma mit Namen Purdue Pharma LP. Purdue hatte Mitte der 90er Jahre eine gute Idee: Wie wäre es, wenn wir ein Schmerzmittel auf den Markt bringen, von dem wir behaupten könnten, dass es nicht süchtig macht, aber trotzdem die Wirkung von Opiat haltigen Medikamenten hat? Gesagt, getan. das neue Schmerzmittel namens Oxycontin enthielt den Wirkstoff Oxycodon. Oxycontin ist ein halb-synthetisches Opioid. Oxycodon wurde Anfang des letzten Jahrhunderts entdeckt, ist also eigentlich uralt. Wir wollen hier nicht in die Chemie einsteigen. Klar ist jedoch, dass es ungefähr doppelt so stark ist wie Morphium und dass es süchtig macht.
Die Sacklers hatten allerdings einige bestechliche Ärzte, Wissenschaftler und Chemiker korrumpiert, die behaupteten, dass Oxycontin so gut wie nicht süchtig macht. Und dann hatten sie noch eine gut geschmierte Marketingmaschinerie, die in den ganzen USA die Nachricht von dem supergeilen Schmerzmittel an alle Ärzte vermittelte mit dem Slogan: „A drug to start with and to stay with“. An viele Ärzte wurde ein Video versandt, in dem behauptet wurde, Oxycontin würde so gut wie nicht süchtig machen. Auch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA mischte dabei mit, denn sie behauptete ebenfalls, dass durch die Retard Wirkung das Medikament nicht süchtig macht. Retard heißt, dass die Tabletten einen Überzug erhielten, der dann die Substanzen langsam in den Körper einschleuste. Pech war nur, dass durch einfaches Zerkleinern oder Kauen dieser Effekt aufgehoben werden konnte.
Purdues Marketing war so unverantwortlich, dass gemeinsam mit Apothekengroßhändlern Rabattcoupons für eine erste Verschreibung verteilt wurden.
Das war der Beginn einer phantastischen Gelddruckmaschine, die in einem fort Blutgeld druckte. Mehr als 500.000 Amerikaner, so die amerikanische Behörde CDC, sind bis 2017 an Oxycodonmißbrauch gestorben.
Doch die Sacklers waren nicht allein. Viele verdienten mit dem Tod Milliarden.
Was dann in den USA passierte
Als die Konkurrenz von Purdue mitbekam, was die Firma da veranstaltete, hat sie nicht etwa die Behörden informiert, sondern sie haben ganz schnell eigene Opiat haltige Schmerzmittel auf den Markt gebracht, z.B. der Corona Impfstoff Hersteller Johnson & Johnson. Mittlerweile wird Oxycontin als Hill-Billy Heroin bezeichnet. Denn was passierte war, dass ganz viele Patienten den Wirkstoff auch bei geringen Schmerzen verschrieben bekamen und dann feststellen mussten, dass sie ohne das Medikament nicht mehr klar kamen, sie also abhängig geworden waren.
Das arme West Virginia ist ein gutes Beispiel für die ausbrechende Krise: Mittlerweile gibt es dort keine Familie mehr, die nicht von der Krise betroffen ist, sei es, weil man selbst süchtig wurde, weil ein Verwandter gestorben ist oder weil ein Neugeborenes mit Entzugserscheinungen auf die Welt gekommen ist, weil die Mutter süchtig war. Ca. 75% aller Drogentoten kommen ursprünglich von dieser Art von Anfütterung über ein Medikament her. Corona hat die Zahl der Toten nochmals nach oben schnellen lassen. Aber nicht nur die Produzenten waren an den hunderttausenden Toten beteiligt, auch große Apothekenketten und Großhändler werden mittlerweile zu teuren Vergleichen gezwungen.
Denn die Bundesstaaten, Regionen und Städte wurden mit den Kosten, die Millionen von Drogenabhängige nach sich ziehen wie Wiederbelebung und Notfallmaßnahmen nach Überdosierungen, Bekämpfung der Drogensucht und Beschaffungskriminalität und Entwöhnungsprogramme, die viel Geld verschlingen, allein gelassen. Das hat dazu geführt, dass der Skandal öffentlich wurde.
Zum Skandal wurde die Krise, weil vor allem weiße Mittelständler betroffen waren. Die Sucht grassierte nicht mehr nur in den schwarzen Gettos, sondern auch unter weißen Mittelstandsfamilien in den Vororten.
Der ekstatische Tanz der Drogenhändler
Irgendwann wurde den Süchtigen der Hahn zugedreht. Die Ärzte haben ihre Verschreibungen geändert. Heute ist es so, dass nicht durch Krebs verursachte Schmerzen in USA nicht länger mit Oxycodon behandelt werden. Dies wurde von Seiten deutscher Schmerzmediziner kritisiert, die Oxycodon nach wie vor als ein sehr gut wirkendes Schmerzmittel ansehen.
Gehen wir zunächst auf das ein, was sich gerade in den USA tut: Viele Drogensüchtige steigen von legal auf illegal um. Es gibt viel Heroin im Markt, noch wichtiger aber ist ein synthetisches Opiat mit Namen Fentanyl, das 30-50 mal stärker ist als Heroin. Es wird anderen Drogen beigemischt um die Wirkung zu steigern, und es wird in Tablettenform als einfaches Schmerzmittel auf dem Schwarzmarkt verkauft. Rund die Hälfte der Toten von 2021 sind auf Fentanyl zurückzuführen. Tote schlafen fest.
Die käufliche Medizin
Es gibt viele Mediziner, denen man keine ethisch-moralischen Verfehlungen vorwerfen sollte. Nicht jeder Arzt ist käuflich, auch wenn man manchmal den Eindruck bekommen kann.
Für das Thema Opiat Verschreibungen in USA liegen jedoch eindeutige Beweise für ethisch-moralische Verfehlungen vor. So wurden reihenweise Praxen geschlossen, die das Ausstellen von Rezepten zum Haupterwerb gemacht hatten. Pro Rezept wurden 250-500 Dollar in Rechnung gestellt. Die verzweifelten Abhängigen hatten oft keine andere Chance, als diese Dealer zu bezahlen.
In einer Untersuchung wurde außerdem gezeigt, dass die Ärzte nicht nur an den Verschreibungen verdienten, sondern dass von Seiten der Pharmaindustrie große Summen an Ärzte ausgezahlt wurden. In USA sind die Firmen dazu verpflichtet, ihre Zahlungen an Ärzte offenzulegen. Scott Hadland und Kollegen vom Boston Medical Center werteten diese Zahlen für einen Zeitraum von 29 Monaten aus. Insgesamt zahlten die Opioid Hersteller an 67.500 Ärzte in 2200 Bezirken etwa 40 Millionen Euro. Diese Zahlungen erfolgten ohne einen forschungsbezogenen Kontext. Die Autoren konnten auf regionaler Ebene eine positive Verbindung zu den tödlichen Überdosierungen, die sich zwischen dem 1. August 2014 und dem 31. Dezember 2016 ereigneten, nachweisen. Das heißt im Klartext: Die bezahlten Ärzte reagierten mit mehr Verschreibungen.
The System, the System.. (Steel Pulse)
Nicht erst seit Trump wissen wir, dass Amerika eine verrottete Gesellschaft ist.
Das Gesundheitssystem ist so aufgebaut, dass viele Amerikaner nicht versichert sind. Ärzte müssen dann cash bezahlt werden.
Deutschland steht mit den Verschreibungen für Opiate weltweit an 3. Stelle, ist also nicht gar so weit von den USA entfernt. Trotzdem ist die Zahl derjenigen, die durch Abhängigkeit sterben, nicht vergleichbar, wie wir zu Anfang berichtet haben.
Unsere Schlussfolgerung lautet: Der einzig wirkliche Grund für die vielen Toten ist die Verderbtheit der Regierenden und der öffentlichen Meinung in den USA, die ein staatliches Gesundheitssystem als Sozialismus verteufeln. Auch Obamacare (die Gesundheitsreform unter Präsident Obama) war nur eine kleine Erleichterung und wurde zusätzlich noch durch Kompromisse verwässert. Von einem System wie dem unseren sind die USA meilenweit entfernt. Wir möchten hier keinesfalls den Eindruck erwecken, als wenn unser Gesundheitssystem gut arbeitet. Die Privatisierungen und Deckelungen der vergangenen Jahrzehnte sind nicht spurlos an uns vorübergegangen, wie jeder von uns weiß. Aber uns mit den USA zu vergleichen hieße Mord mit Ladendiebstahl gleichzusetzen.
Aber: Seit 2003 wird das vom Hersteller Mundipharma in Deutschland neu zugelassene Oxycodon-Medikament unter dem Markennamen Oxygesic verkauft. Mundipharma wurde 1967 in Frankfurt am Main von den Brüdern Raymond und Mortimer Sackler, den ehemaligen Eigentümern von Purdue Pharma, gegründet.
Zahltag
Aber selbst in einem solchen Land wie Amerika ist nicht alles möglich. Der Vorteil der dortigen Verfassung ist, dass man Schädigungen leichter einklagen kann wie vor allem VW jüngst erleben musste. Viele Bundesstaaten haben sich zusammengeschlossen, um Klagen gegen alle, die mit den Drogendeals zu tun hatten, einzureichen. Um sich zu retten, hat Purdue Insolvenz angemeldet. In einem Deal haben sie einer Zahlung von 10 Milliarden Dollar zugestimmt. Zusätzlich zahlt die Familie Sackler weitere 4,5 Milliarden aus ihrem eigenen Vermögen. Fast alle anderen Beteiligten haben sich mittlerweile geeinigt. Johnson & Johnson, die sich nicht einigen wollten, wurden zur Zahlung von 500 Millionen verurteilt.
Das Schlachtfest ist aber noch nicht beendet. Erst im Januar 2022 hat es mit den indigenen Völkern einen erneuten Vergleich gegeben, weil diese Bevölkerungsgruppe noch stärker den todbringenden Verschreibungen ausgesetzt war. Johnson & Johnson war diesmal beim Vergleich mit dabei.
Wer nun glaubt, alles sei vorbei, der irrt. Mundipharma ist nach wie vor aktiv in Europa. Die Vergleiche und die Insolvenz von Purdue haben zwar Geld in die öffentlichen Kassen gespült und tun dies noch immer, aber durch die Vergleiche haben sich die Firmen zunächst erstmal selbst aus der Schusslinie gebracht und können weiter kräftig verdienen. Wir müssen auch nicht davon ausgehen, dass die Sacklers dadurch am Hungertuch nagen werden, das wäre zu viel des Guten. Menschen dieser Kategorie fallen immer ganz weich. Das Sterben geht weiter, noch weitaus schlimmer jetzt, wo die Süchtigen in die Illegalität getrieben werden.
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Was für ein Wahnsinn, was für eine Geldgier. Danke für den sehr übersichtlichen Artikel. Ich habe schon viel von der Opiat Krise in den USA gehört, aber mir war nicht klar, was das für eine Dimension hat.