Am 11. März 2020 veränderte sich unser Leben radikal. Das war der Tag, an dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verkündete, dass ein neuartiges Virus eine Pandemie ausgelöst hat. Nun haben wir schon ein Jahr mit Covid-19 verbracht und was hat sich getan?
Geht es Euch auch so, dass Ihr seitdem in einer mehr oder weniger surrealen Welt lebt? Wenn man ein Jahr zurückblickt, dann kommen einem die ersten Tage der Pandemie beinahe unschuldig vor, weil niemand wirklich etwas wusste über das Virus. Da wurde das Maskentragen noch als überflüssig betrachtet (RKI Präsident Wieler), da hieß es, das Virus sei wahrscheinlich nicht viel gefährlicher als ein Grippe Virus (was immer noch einige behaupten).
Mittlerweile ist nicht nur das Virus, sondern wir alle sind zu Virologen mutiert. Wir rattern die Inzidenzwerte rauf und runter, wir diskutieren über Impfstoffe, wir haben den R-Wert kennengelernt und wir alle haben die AHA + L Regeln verinnerlicht.
Zigtausende von Artikeln und Studien zum zweiten Sars Virus sind veröffentlicht worden, viele davon von zweifelhaftem wissenschaftlichem Wert. Können sie die grundsätzlichen Fragen, die wir alle haben, beantworten? Oder sind nicht vielmehr koordinierte und geplante Studien notwendig, damit wir endlich so viel über das Virus lernen, dass zumindest die schweren Erkrankungen behandelbar sind einschließlich der Langzeitwirkungen (Long Covid) und niemand mehr an Covid-19 sterben muss?
Was tun unsere gewählten Volksvertreter?
Unsere Politiker, die am Anfang wenigstens noch zugegeben haben, dass sie keine Ahnung haben, werden zunehmend als Feindbilder gesehen. So viele Fettnäpfchen können gar nicht aufgestellt werden wie in sie hineingetreten wird. Der ganze Umgang mit dem Virus zeigt uns auf jeden Fall unsere Handlungsschwäche. Natürlich ist Europa nicht mit Australien und schon gar nicht mit China mit ihren rigiden Maßnahmen zu vergleichen, aber Konsequenz – das sollte auf jeden Fall eine Lehre für uns sein – muss auch in Demokratien herstellbar sein. Das unwürdige Schauspiel der kleinlichen Mauscheleien von Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, die Machtlosigkeit der Bundesregierung, das Buhlen um die Gunst der Wähler mit zweifelhaften Kompromissen – all das verunsichert zutiefst und destabilisiert das Vertrauen in die Fähigkeit unserer Demokratien, mit existentiellen Krisen umzugehen.
Wandelt sich die Krise zu einer Art Krieg?
Wenn wir uns nur einem Moment vorstellen, wir wären in einem Krieg (denn wir sind in einem Krieg, ohne die Situation als eine solche zu betrachten), dann würde doch jeder angesichts der Bewegung des Feindes nur noch mit dem Kopf schütteln, wenn da ein Haufen aufgescheuchter Hühner stundenlange Diskussionen führt, ob man denn jetzt zurückschlagen soll, oder ob man doch noch zum Schwimmen gehen kann oder nach Mallorca fliegen? Das ist so irrational, dass es die Schwächen unseres Systems schonungslos offenlegt. Und gerade während dieser Satz geschrieben wird, sagt unsere Kanzlerin dasselbe, immerhin. Im Krieg ist es schwer zu diskutieren, da muss zuallererst klar gehandelt werden. Hinterher kann man sehen, ob die Handlungen richtig oder falsch waren. Aber wenn wir immer vom schlimmsten Fall ausgegangen wären, sähe die Situation anders aus.
Wo ist unser Protest als Volk?
In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts haben wir gegen die Notstandsgesetze demonstriert, weil wir befürchten mussten, dass man sie gegen streikende Arbeiter einsetzt. Heute, wo wir es mit einem wirklichen Notstand zu tun haben, der eine klare Machtkonzentration der Regierung erfordert, ist noch niemand auf die Idee gekommen, den Notstand auszurufen (bei den gegenwärtigen Machtverhältnissen ist es beinahe unmöglich, den Notstand auszurufen!). Das mag vielen zu radikal klingen, aber Krieg radikalisiert. Die Möglichkeit, das Infektionsschutzgesetz zu ändern, um zentraler bestimmen zu können, wird jetzt gerade erwogen. Kommt das nicht viel zu spät? Mit Diskussionen, die interessengeleitet und nicht problemfokussiert sind, ist dem Virus nicht beizukommen.
Die Wissenschaft kann über die Situation und ihre Bewertung diskutieren, da gibt es viele verschiedene Meinungen, weil es noch viele ungelöste Rätsel das Virus betreffend gibt. Das ist sogar ihre Aufgabe, denn nur durch Diskurs gelangt man zu größerer Wahrheit. Die Politik kann das eigentlich nicht, sie muss von der schlimmsten Bedrohung ausgehen. Sie darf weder sich selbst noch uns als Bürger mit falschen Hoffnungen ködern. Winston Churchill hat seinen Bürgern im damaligen Krieg auch nur Blut, Schweiß und Tränen versprochen. Und in genau dieser Situation befinden wir uns jetzt auch.
Wie wird es wohl in Zukunft weitergehen mit COVID-19?
Es gibt ganz viele verschiedene Möglichkeiten, wie wir das nächste Jahr und viele weitere erleben werden. Welche Unwägbarkeiten müssen wir unbedingt mit ins Kalkül ziehen?
- Das Virus könnte einfach wieder verschwinden. Das wäre unsere beste Option. So geschehen während der Influenza Pandemie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Nach drei Jahren war der Spuk vorbei. Auch das MERS Virus wurde schnell wieder zurückgedrängt, weil es nicht so ansteckend war.
- Das Virus mutiert zu einer Variante, die ihre Gefährlichkeit einbüßt. Wenn es wirklich nicht gefährlicher als eine Grippe ist, können wir damit leben. Oder wir müssen die Grippe neu bewerten, denn auch sie kann jährlich bis zu 30.000 Tote fordern. Das jetzige Virus aber ist gefährlicher als eine Grippe, das scheint festzustehen.
- Bisher mutiert das Virus in zwei Richtungen: Man kann sich leichter anstecken und der Verlauf der Krankheit ist schwerer als bei dem Wildtyp.
- Was passiert, wenn die bisherigen Impfstoffe neue Mutanten nicht mehr abdecken? Das könnte unangenehm für uns werden, wenn sich diese stark verbreiten können. Wollen wir hoffen, dass dann nicht jährliche Impfungen notwendig werden.
- Das Virus wird endemisch. Es schwächt seine Gefährlichkeit ab, aber es existiert einfach fort wie die jährlichen Grippeviren.
- Oder wir bauen durch die Impfungen Abwehrstoffe auf, die es uns ermöglichen, besser mit neuen Varianten klarzukommen. Dann müssten wahrscheinlich nur noch die Risikogruppen geimpft werden.
Die EU, die Pharmaindustrie und die liebe Technik
Die EU, insbesondere Ursula von der Leyen, hat sich bei der gemeinsamen Impfstoffbestellung nicht mit Ruhm bekleckert. Es mag viele einleuchtende Gründe für dieses Desaster geben: Klar ist, dass uns das ein weiteres halbes bis ganzes Jahr im Pandemiemodus kosten wird und auch weitere Tote und Long Covid Kranke. Die Impfstoffhersteller tanzen uns auf der Nase herum, wir scheinen keine wirksamen Druckmittel in der EU zu haben. Warum?
AstraZeneca hat sich durch seine miserable Kommunikationspolitik voll ins Abseits manövriert. Ob der Impfstoff gut oder schlecht ist – darum geht es bei denen schon nicht mehr. Wer so schlecht, arrogant und unfähig kommuniziert, ist nicht vertrauenswürdig.
Viele von uns sind darauf angewiesen, dass die normale Wirtschaft wieder funktioniert, die besonders betroffenen Gruppen sind Euch allen bekannt. Das geht nur, wenn wir einen hohen Grad von Durchimpfung erreicht haben.
Ein weiteres Desaster war die App zur Nachverfolgung. Da hat sich Deutschland nicht gerade hervorgetan. Dass ein Musiker wie Smudo mit der von ihm gepuschten App Luca mehr erreicht mit einem kleinen innovativen Team als die Giganten unserer Industrie, ist mehr als beschämend. Datenschutz hin, Datenschutz her, wenn ich selbst damit einverstanden bin, wenn meine Daten genutzt werden, dann wäre schon viel verändert, wenn man diese Genehmigung für mehr Normalität nutzt.
Was macht Covid-19 mit uns als Staat?
Unser Gesundheitssystem zeigt ganz schonungslos, was bei uns nicht in Ordnung ist: Man hat in den letzten Jahren nur noch auf Technologie gesetzt, das hat die Industrie gefreut. An Personal wurde gespart, deshalb sind die Intensivstationen total überlastet. Ärzte, Pfleger und alle anderen arbeiten seit Monaten nur noch Oberkante Unterlippe. Auch hier, bei unserer Gesundheitspolitik muss ein Umdenken erfolgen. Wirtschaftlichkeit kann nicht das einzige Kriterium sein.
Und wir selbst? Seid Ihr auch desillusioniert über den Zustand, in dem wir uns präsentieren? Wie konnte es nur dazu kommen, dass wir uns angesichts einer realen Bedrohung so spalten lassen? Viele, die meisten haben wohl begriffen, dass man das Virus als Gegner ernstnehmen muss. Aber volle Skipisten im Sauerland, der Run auf die Flugtickets nach Mallorca, Unachtsamkeit und Renitenz im Alltag, jeden Tag neue Berichte über Partys – all das zeigt ein gespaltenes Land. So weit sind wir von den USA nicht mehr entfernt.
Wir haben hier Meinungsvielfalt und das ist auch gut so. Aber bedeutet das, dass hier jeder machen kann was er will? Selbst wenn ich der Meinung wäre, das Virus sei ganz harmlos – heißt das dann automatisch, dass ich mich nicht mehr an die allgemeinen Auflagen halten muss? Das ist schizophren, so kann ein Zusammenleben nicht funktionieren.
Nach diesem Jahr mit Corona zeigt sich unsere Gesellschaft in einem desaströsen Zustand, viel schlimmer als in den schlimmsten Alpträumen ausgemalt. Das macht depressiv, viel mehr als die Lockdowns.
Die Frage lautet: Was tun?
Wir können und jetzt müssen wir viel über unsere Gesellschaft lernen, denn sie ist krank. Wir müssen uns ernsthaft fragen, wie unser Zusammenleben in Zukunft aussehen soll – vielleicht wäre der Lockdown die richtige Gelegenheit dazu? Eine Politik, die jahrelang beinahe nur noch die Interessen der Industrie, der internationalen Konzerne zum Kompass ihres Handelns gemacht hat, hat die Verantwortung dafür. Wir alle, die wir dies wissen und doch nichts dagegen unternommen haben, tragen ebenfalls die Verantwortung. Viele Unzufriedene haben sich mit den rechten Parteien (AFD) eingelassen – das ist zwar verständlich, aber vollständig an den eigenen Interessen vorbeigehend. Eben total krank, weil man sich in die Meckerecke zurückzieht. Um das zu wuppen, benötigen wir weitaus mehr als Meckern.
Eigentlich benötigen wir einen neuen Traum, wie Deutschland, wie Europa, wie die Welt zukünftig aussehen soll, wie wir leben wollen. Das wird nur gehen, wenn wir die Probleme nicht länger ignorieren und alle – ganz egal, welcher Partei – nach schonungsloser Analyse uns auf den Weg machen, denn Stillstand wie in den vergangenen Jahrzehnten, das geht nicht mehr. Danke, Corona, für diese Erkenntnis.
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