Bild ©Lightworks-Gallery, V. Schrader
Eine kleine Artikelserie von Dr. med. Margrit Lettko (Medizinische Direktorin des Netzwerk Ästhetik) und Dirk Brandl (Sprecher Netzwerk Ästhetik)
Habt ihr die ersten beiden Teile dieser Artikelserie bereits gelesen? Wenn nicht, dann folgt am Besten diesem Link um ganz vorne einzusteigen, oder diesem Link für Teil 2.
Wann wird eigentlich ein Mensch als attraktiv beurteilt?
Die drei wichtigsten Theorien zur Attraktivitätsforschung sind die
- Durchschnittshypothese
- Symmetriehypothese
- Theorie des sexuellen Dimorphismus.
Wir möchten uns mit diesen drei Hypothesen insbesondere deshalb auseinandersetzen, weil auf Kongressen oder in Artikeln zur Ästhetik immer wieder auf sie zurückgegriffen wird. Falls ein ästhetisch arbeitender Mediziner oder ein unbedarfter Leser wie der/die ein oder andere von Euch daraus Rückschlüsse für seine Arbeit oder die eigene Ausstrahlung zieht, könnte sie/er fatale Fehlentscheidungen treffen, denn: Es gibt etliche Forschungsarbeiten zu diesen drei Theorien, die bei genauerer Betrachtung Widersprüche und methodische Mängel aufweisen. Keine der aufgestellten Theorien der Attraktivitätsforschung scheint die Attraktivität wirklich wissenschaftlich haltbar erklären zu können.
Zu 1. Durchschnittlichkeit
In der Attraktivitätsforschung gilt die These, dass Durchschnittlichkeit die Voraussetzung für Attraktivität ist. Durchschnittlich bezieht sich hier auf den mathematischen Durchschnitt einer Population. Mit Hilfe einer Morphing – Software (Veränderung der Gesichts- und/oder Körperkontur durch ein Software Programm) wurden mathematische Durchschnittsgesichter entwickelt und mit den Originalgesichtern verglichen. Daraus leiteten die Wissenschaftler die in der Attraktivitätsforschung noch heute gültige Durchschnittshypothese ab.
Bei näherer Prüfung der Studien fallen jedoch einige sehr markante Mängel auf, die sich einerseits auf die angewendeten Methoden beziehen, andererseits auch auf die zugrundeliegenden Hypothesen (es kann nur das gefunden werden, nach dem auch gefragt worden ist). Diese wollen wir hier nur anreißen, da sie Gründl in seiner Habilitation hervorragend herausgearbeitet hat (Literaturempfehlungen geben wir am Ende der Serie). Er belegt detailliert, dass die Aussage der Durchschnittlichkeit auf Falschannahmen beruht und demnach schlicht falsch ist. Wenn überhaupt, dann hat Durchschnittlichkeit nur einen geringen, nicht signifikanten Einfluss und das nur, wenn man die attraktiveren Gesichter morpht. Gründls Untersuchungen zeigen, dass der scheinbar große attraktivitätssteigernde Effekt der Durchschnittlichkeit auf Artefakte des Morphens selbst zurückzuführen ist. Durch die Bildverarbeitung kommt es zu einer besseren Hautbeschaffenheit. Makel werden kleiner oder gar nicht mehr sichtbar, die Haut wird glatter.
Die Beschaffenheit der Haut spielt bei der Beurteilung der Attraktivität eine bedeutende Rolle, was gut zu verstehen ist, schließlich ist makellose Haut ein untrügliches Zeichen für Gesundheit und vor allem für Jugendlichkeit. Je gesünder bzw. jugendlicher sich die Haut durch ihre Textur, Gleichmäßigkeit der Färbung und des Farbtones selbst darstellt, umso attraktiver wird die Person eingeschätzt. Durchschnittliche Gesichtsproportionen führen zu nichts anderem als zu einem mittelmäßigen Aussehen.
Zu 2. Symmetrie
Muss das Gesicht symmetrisch sein, damit es schön wirkt? Immerhin gilt Symmetrie als äußeres Zeichen von genetischer Gesundheit. Die Theorie der Attraktivitätsforschung besagt: Ist die äußere Gestalt symmetrisch, ist die Wahrscheinlichkeit von gesunden Genen deutlich größer und damit auch von überlebensfähigen Nachkommen.
Ob Symmetrie wirklich der einzige Indikator für genetische Qualität ist, mag im Augenblick dahingestellt sein. Es gibt viele Studien zur Symmetrie und Attraktivität, die je nach verwendeter Methodik unterschiedlich ausfallen.
Gründl konnte unter Berücksichtigung von bisherigen methodischen Mängeln aufzeigen, dass die Symmetrie-Hypothese als widerlegt angesehen werden muss. Vermeintliche Einflüsse von Symmetrie auf die Attraktivität von Gesichtern basieren nach ihm auf Methodenartefakten. Demnach ist Symmetrie als Attraktivitätskriterium völlig irrelevant. Attraktivität kann auch durch eine perfekte Optimierung der Gesichtsproportionen nicht gesteigert werden. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass attraktivere Gesichter vom Betrachter automatisch als symmetrischer wahrgenommen werden. Die Asymmetrie als solche, falls sie nicht extrem ist, wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Denn wir alle haben Gesichter, die von einer perfekten Symmetrie abweichen, und gerade das finden wir attraktiv.
Zu 3. Sexueller Dimorphismus
Die folgenden Ausführungen berufen sich wiederum auf Gründl. Sexueller Dimorphismus bedeutet, dass attraktive Gesichter besonders geschlechtstypisch aussehen, also typisch feminin bzw. typisch maskulin.
Die Kindchen-Schema-Hypothese, wonach Zeichen eines Kindes zur Attraktivität der Frau gehören, ist eng verwandt mit dieser Hypothese.
Der theoretische Hintergrund der Hypothese „Sexueller Dimorphismus“ ist in der Evolutionspsychologie zu suchen. Hohes Testosteron bedingt danach starke Ausprägung von sekundären männlichen Geschlechtsmerkmalen, aber auch hohe Krankheitsanfälligkeit, da Testosteron das Immunsystem unterdrückt, was bisher nur bei Tieren festgestellt, nicht jedoch bei Menschen nachgewiesen werden konnte.
Da eine hohe Krankheitsanfälligkeit für die Fortpflanzung nicht besonders vorteilhaft wäre, wird jetzt die Handicap-Hypothese herangezogen. Danach würden es sich nur besonders gesunde, mit einem genetisch bedingten fähigen Immunsystem ausgestattete Männer leisten können, solche sekundären Geschlechtsmerkmale auszubilden (Immunkompetenz-Handicap-Hypothese). Bei Frauen hingegen soll ein niedriger Testosteronwert von Vorteil sein, da daraus eine verminderte Krankheitsanfälligkeit hervorgeht.
Der gleiche Marker, das Testosteron, wird also geschlechtsabhängig bewertet, was nicht für die Stimmigkeit der Hypothese spricht. Damit die Hypothese trotzdem stimmt, wird dann der Östrogenspiegel der Frau und die daraus sich ergebenden weiblichen Geschlechtsmerkmale herangezogen. Hoher Östrogenspiegel = weibliche Geschlechts(=Gesichts)merkmale = bessere Fruchtbarkeit.
Empirische Befunde zur Aussage, dass männliche Gesichtsmerkmale bei Männern deren Attraktivität steigern, sind je nach angewendeter Methode (anthropometrische Messung, experimentelle Manipulation mittels Computer, direkte Ratingskalen) sehr unterschiedlich. Das spricht mit großer Wahrscheinlichkeit für methodische Fehler. Gründl vermutet einen möglicherweise kurvilinearen Zusammenhang zwischen männlichen Gesichtszügen und Attraktivität. Dafür sprechen auch die unterschiedlichen Aussagen der Frauen, die mal Machos, mal Softies bevorzugen.
Die typisch kindlichen Merkmale sind, mit einigen Ausnahmen, deckungsgleich mit den weiblichen Merkmalen, weshalb viele Untersuchungen das Kindchen Schema zugrunde legen. Der Vergleich der bisherigen Studien wie auch die von Gründl neu konzipierten Experimente zeigen, dass die Hypothese des sexuellen Dimorphismus wohl nur für die Frauengesichter gilt. Frauengesichter, die dem Kindchen Schema angenähert wurden, wurden als attraktiver bewertet, wenn der Anteil 40 % nicht überschritt. Laut Cunningham ist es die Mischung aus Kindlichkeit und Reife, die weibliche Schönheit anziehend macht. Das Reifezeichen, das hier eine Rolle spielt, ist die Höhe der Wangenknochen sowie das Abschmelzen des Wangenfettes und der dabei entstehende Wangenschatten – dieses Mischungsverhältnis ist allerdings variabel und ändert sich je nach Persönlichkeit, Anforderung oder Zeitgeist.
Der weniger attraktive Mann scheint ebenso von kindlichen Zügen zu profitieren, der schon als attraktiv bewertete Mann dagegen nicht. Es kommt beim Mann wohl eher auf die Mischung von kindlichen und maskulinen Merkmalen an.
Soweit zu den drei Hypothesen der Attraktivitätsforschung.
Wir können sie also getrost auf den Müll werfen. Aber Ihr werdet bei der Erforschung davon, was Attraktivität bedeutet, immer wieder auf die ein oder andere Argumentation stoßen. Wenn Euer Gesicht also weder durchschnittlich ist, noch besonders symmetrisch und auch keine besonders hervorgehobenen männlichen oder kindlich-weiblichen Attribute aufweist, heißt das erstmal noch gar nichts: Ihr könnt trotzdem attraktiv sein!
In Teil IV der Serie werden wir berichten, nach welchen Kriterien ein ästhetisch arbeitender Arzt Attraktivität bewertet und deshalb dann entsprechend behandelt. Eine Übersicht aller besprochener, oder zitierter Werke findet ihr am Ende des 6. Teils.