Die soziale Macht der Schönheit – Teil 4

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Bild ©Lightworks-Gallery, V. Schrader

Eine kleine Artikelserie von Dr. med. Margrit Lettko (Medizinische Direktorin des Netzwerk Ästhetik) und Dirk Brandl (Sprecher Netzwerk Ästhetik)

Habt ihr die ersten drei Teile dieser Artikelserie bereits gelesen? Wenn nicht, dann folgt am Besten diesem Link um ganz vorne einzusteigen, oder den folgenden Links für für Teil 2 und Teil 3.

Was muss ein Arzt, der ästhetische Medizin anbietet über Attraktivität wissen?

In unserer Praxis der Anwendung bzw. Begleitung ästhetischer Therapien können wir mit den drei im letzten Artikel beschriebenen Hypothesen nichts anfangen. Sie sind in keinem Fall dazu geeignet, den Arzt bei seiner Tätigkeit zu unterstützen. Wir möchten deshalb hier unsere Erfahrungen aus der Praxis heraus darstellen.

Attraktivität ist nach unserer Erfahrung eindeutig mit Jugendlichkeit verbunden. Jugendlichkeit bedeutet nicht Jugend oder gar Jugendwahn. Jugendlichkeit bedeutet, dass alle Prozesse, die sich im Gesicht abspielen während der Alterung, abgemildert werden können durch therapeutische Eingriffe: Die Haut verliert Hyaluronsäure und Kollagen, die Fettkompartimente des Gesichts sacken nach unten, was „Sagging“ oder medizinisch als Ptosis bezeichnet wird. Schließlich verändert sich auch das Volumen, entweder verlieren wir Fett oder legen im Alter zu.

Thema Jugendlichkeit: Diese Aussage ist zwar auf der einen Seite trivial, auf der anderen Seite ist es gerade das, was uns als Ärzte und Euch als Patienten interessieren muss. Es ist nicht die von den Patienten so nachdrücklich hervorgehobene Falte, die so „störend“ wirkt, sondern es sind Merkmale, die sich aufgrund der veränderten Knochenstruktur, der Fettreduktion in bestimmten Teilen des Gesichtes und der Hautveränderung ergeben. Es gibt die für uns typischen Altersmerkmale, zum Beispiel den Volumenverlust im Mittelgesicht oder umgekehrt die Volumenzunahme der Hängebäckchen.

Hier setzen wir an. Wir versuchen, dem Gesicht die Merkmale der Jugendlichkeit zurückzugeben. Kein plastischer Chirurg nähert bei einem Facelift das Gesicht dem Durchschnitt an, sondern den herausragenden Merkmalen der Jugendlichkeit und damit der Vitalität. Weder Durchschnitt noch Symmetrie noch sexueller Dimorphismus sind attraktiv, sondern Jugendlichkeit, wobei der Terminus Jugendlichkeit nicht suggerieren soll, dass wir empfehlen, ältere Menschen zu Jugendlichen zu transformieren. Was wir wollen ist, durch ästhetische Eingriffe die Zeichen des Alters zu mildern, und deshalb bemühen wir uns, alle altersbedingten Veränderungen zu reduzieren. Schönheit und Jugend stehen in enger Korrelation zueinander. Ein glattes, durch ein Facelift sehr gestrafftes Gesicht bekommt durch den Eingriff nicht unbedingt eine höhere Attraktivität, wenn nicht auch gleichzeitig andere Altersmerkmale ausgeglichen werden.

Die wichtigsten Kennzeichen des jugendlichen Gesichtes

Wenn wir die ästhetischen Therapien richtig einsetzen wollen, benötigen wir eine genaue Kenntnis darüber, welche Zeichen oder Attribute uns denn den Eindruck von Jugendlichkeit vermitteln.

Die Beschaffenheit der Haut ist zwar wichtig, aber mit glatter Haut ist man noch lange nicht schön.

 Die „Superschönen“ haben große Augen (eher der Augenöffnungsgrad), höhere Augenbrauen, betonte Wangenknochen, kleine Nase, volle Lippen (Zeichen der Jugend, nicht des Kindes), grazile Kiefer- und Kinnpartie. Nicht alle Zeichen des Kindchen Schemas erhöhen die Attraktivität, so z.B. die Pausbacken des Kindes. Attraktive Gesichter brauchen den Wangenschatten.

Es gehört auch noch eine weitere Zutat hinzu: Die so genannten Ausdruckszeichen. Freundliches Lächeln, weite Pupillen, hohe Augenbrauen, durch die eine Botschaft übermittelt wird: Hier kommt ein Freund/ein freundliches Wesen. Wir lesen etwas in Gesichter hinein, auch wenn dieses Attribut in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.  Menschen mit einer starken Zornesfalte z. B. oder vertiefter Merkelfalte entfachen Gefühle in uns, vor denen wir uns nicht schützen können. Unsere Einschätzungen auf Grundlage dieser Gefühle passieren blitzschnell.

Der Wahrnehmungspsychologe Todorov nimmt aufgrund seiner Untersuchungen mit 3D-Gitternetz – mathematisch kodierten Gesichtern an, dass diese Gesichter mit zufälligen negativen Merkmalen automatisch mit Gesichtern verglichen werden, die diesen Gefühlsausdruck in sich tragen. Er spricht von „overgeneralization“. Todorov hat auch herausgefunden, dass die Wahrnehmung von Vertrauenswürdigkeit eng mit der Wahrnehmung von Attraktivität gekoppelt ist. Renz schreibt: „Wer glücklich aussieht, lässt bei uns die Vertrauenssaite klingen, und wer als vertrauenswürdig wahrgenommen wird, wird auch als anziehend empfunden“.

Die Mischung für Attraktivität ist also Kind, Frau/Mann und Freund, und zwar für beide Geschlechter. Schönheit ist aber mehr als die Summe ihrer Teile. Die eigentliche Schönheit ist ein Produkt unseres Gehirns und damit unserer Erfahrungen.

Die ersten 150 Millisekunden, die uns entscheiden lassen, ob wir ein Gesicht als attraktiv oder unattraktiv bewerten, wären ohne die Gestaltwahrnehmung nicht möglich. Die Wahrnehmungspsychologie hat uns dazu bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wichtige Hinweise gegeben. Wir sind in der Lage, etwas ganzheitlich wahrzunehmen (Figur-Grund Beziehung), was wir für alle koordinatorischen und sensomotorischen Fertigkeiten benötigen. Es entsteht ein mentales Bild, das auf groben Verallgemeinerungen beruht. Dabei spielt alles, was wir wahrnehmen, eine Rolle. Wenn jemand eine warme, weiche Stimme hat, entsteht ein anderes mentales Bild, als wenn jemand eine piepsige Stimme hat. Es ist unsere Schöpfung, hervorgegangen aus unseren Erfahrungen.

Teil V der Serie beschäftigt sich damit, welche gesellschaftlichen Vorteile die Attraktiven genießen. Eine Übersicht aller besprochener, oder zitierter Werke findet ihr am Ende des 6. Teils.

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