Können Parasiten den natürlichen Alterungsprozess verlangsamen und gleichzeitig altersbedingte Entzündungsbeschwerden mindern?
Mitglieder des King’s College London sind genau dieser Frage auf den Grund gegangen. Was sie dabei entdeckt haben, wollen wir euch im Folgenden näherbringen.
Viele der uns im Alter heimsuchenden Krankheiten haben etwas mit Entzündungen zu tun. Deshalb entwickelte sich im Englischen mit der Wortneuschöpfung inflammaging sogar ein neuer Begriff, welcher der Erscheinungsform sinngemäß auszudrücken vermag (inflammation = Entzündung und aging = Alterung). In unserem Artikel über die stillen Entzündungen haben wir bereits über viele Zusammenhänge berichtet, die mit chronischen Zivilisationskrankheiten assoziiert werden können.
Wie sollen uns ausgerechnet Parasiten helfen?
Die Autoren der Publikation gehen davon aus, dass viele dieser Erkrankungen mit den veränderten hygienischen Bedingungen einhergehen, so dass dadurch unsere Darmflora sich verändert hat. Insbesondere Parasiten, die ebenfalls im Darm von Urvölkern und bei Bewohnern unterentwickelter Regionen zu finden sind, haben die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen, weil bei diesen die entzündlichen Alterserkrankungen nicht anzutreffen waren.
Die Aufmerksamkeit der Forscher hat sich insbesondere auf die Würmer gerichtet, die im Darm anzutreffen sind. In diesem Zusammenhang werden diese als old friends bezeichnet. Die Abwesenheit dieser Parasiten, die anti-entzündlich wirken, nennt man im Fachjargon Dysbiose. Dies bezeichnet ein Ungleichgewicht der Darmflora.
Gibt es schon handfeste Beweise für diese Theorie?
Natürlich wissen auch die Forscher, dass man uns nicht einfach lebende Würmer geben kann, deshalb haben sie danach gesucht, welche Abläufe in unserem Körper die Würmer eigentlich beeinflussen. Dabei stießen sie auf ES-62, ein Glycoprotein, das natürlich in einem Wurm vorkommt. Das sind sehr große Moleküle, die aus Eiweißen und Zucker bestehen. Man hat die Wirkungen von ES-62 bereits in einigen Tiermodellen getestet. Was dabei herauskam war schon ziemlich erstaunlich:
- Bei Mäusen zeigte sich, dass CS-62 die Gesundheit im Alter verbesserte und zusätzlich die Lebensspanne verlängerte.
- Es-62 hat dazu beigetragen, die Darmwand durch eine verbesserte Darmflora besser abzudichten
- Insbesondere im tiefer liegenden Fett, dem so genannten viszeralen Fett, sind viele Entzündung auslösende Faktoren gespeichert. Viszerales Fett speichert Immunzellen (Monozyten, B und T Lymphozyten, Mastzellen, neutrophile Granulozyten und seneszente Zellen)
Zur Erklärung: Monozyten sind eine Gruppe von weißen Blutkörperchen, die Vorläufer der Fresszellen/Macrophagen; B und T Lymphozyten sind die bekannten Antikörper, von denen wir in der Pandemie soviel gehört haben; Mastzellen sind ebenfalls Abwehrzellen; neutrophile Granylozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen und bekämpfen ebenfalls Erreger; seneszente Zellen können sich nicht mehr teilen.
Diese Zellen zusammen bilden im Fett einen zerstörerischen Cocktail von entzündungsfördernden Molekülen. Es besteht die Hypothese, dass die Parasiten die angesammelte Fettmenge und Übergewicht reduzieren und damit anti-entzündlich wirken. Das wird unterstützt durch Untersuchungen in unterentwickelten Regionen in Indien und Afrika zum Aufkommen von Typ 2 Diabetes und rheumatoider Arthritis.
Und was heißt das jetzt genau für uns?
In ihrer Schlussfolgerung schreiben die Forscher Folgendes:
„Es versteht sich von selbst, dass Verbesserungen in der Hygiene und die Eliminierung von Wurmparasiten für die Menschheit von unschätzbarem Nutzen waren. Aber ein Preis, der mit diesem Nutzen verbunden ist, sind Anomalien der Immunfunktion, insbesondere eine entzündliche Überfunktion. Verfügbare Beweise deuten darauf hin, dass restaurative Helminth-Therapien (Wurmtherapien) nicht nur gegen allergische und autoimmune Entzündungsstörungen, sondern auch gegen altersassoziierte Entzündungen im späteren Leben wirksam sind, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Sollte sich dies bestätigen, könnte die Helminth-Therapie einen Schutz gegen das breite Spektrum altersbedingter Erkrankungen bieten, die durch inflammaging gefördert werden. Nach den Erfolgen im letzten Jahrhundert bei der Beseitigung der Übel von Helminth-Infektionen scheint die Zeit jetzt günstig, um deren möglichen Nutzen weiter zu erforschen, insbesondere für unsere alternde Bevölkerung – so seltsam das auch klingen mag.“
Hier klicken für das Originalzitat:
„It goes without saying that improvements in hygiene and elimination of helminth parasites have been of incalculable benefit to humanity. But a cost coupled with this benefit is abnormalities of immune function, specifically inflammatory hyperfunction. Available evidence suggests that restorative helminth therapies are effective against not only allergic and autoimmune inflammatory disorders, but also age-associated inflammation in later life, at least to some extent. Should this be confirmed, helminth therapy could provide protection against the wide spectrum of age-related diseases promoted by inflammaging. In the wake of successes during the last century in eliminating the evils of helminth infections, the time now seems propitious to explore further their possible benefits, particularly for our aging population – strange though this may sound.“
Gedanken zum Abschluss
Inwieweit die Zusammensetzung des Microbioms Einfluss auf die Zivilisationskrankheiten nimmt, wird heute heftig diskutiert. Insbesondere die Zusammensetzung der Darmflora mit Bakterien und Parasiten spielt dabei eine herausragende Rolle.
Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass umgekehrt viele Erkrankungen mit Erregern (Bakterien und Viren) erst neu in Zusammenhang gebracht werden. So gibt es neuerdings viele ganz allgemeine Symptomatiken, die mit der Übertragung durch Zecken assoziiert werden. Dabei sind besonders die Chamäleons unter Bakterien, die Borrelien, im Fokus. Aber auch Ko-Infektionen mit anderen Bakterien und Viren stehen hierbei im Verdacht.
Also stimmt wahrscheinlich beides: Unser Immunsystem wird durch eine falsche Zusammensetzung unseres Microbioms und das Fehlen alter Freunde falsch getriggert. Gleichzeitig gibt es bei Erkrankungen wie Fatigue, Alzheimer, MS und viele andere neurologische Erkrankungen starke Hinweise darauf, dass unbekannte Erreger chronisch wirksam sind und damit Entzündungen produzieren. Doch dazu in einem anderen Artikel mehr.
Falls ihr euch für das Thema näher interessiert, haben wir euch hier den englischen Aufsatz verlinkt: https://elifesciences.org/articles/65180